Ottavio Dantone studierte Orgel und Cembalo am Konservatorium «Giuseppe Verdi» in Mailand. Seit der Spielzeit 2023/24 ist er Musikdirektor des Haydn-Orchesters von Bozen und Trient und ab 2024 Musikdirektor der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Als spezialisierter Interpret der Alten Musik leitet er seit 1996 die Accademia Bizantina, der er bereits seit 1989 als Cembalist angehört. Er hat den Weg des Ensembles an die heutige Spitzenposition entscheidend geprägt und ist mit diesem in Konzertsälen wie der Berliner Philharmonie, dem Konzerthaus Wien und dem Concertgebouw Amsterdam aufgetreten. 2021 wurde die Accademia Bizantina vom Gramophone Classical Music Award als «Orchester des Jahres» nominiert. Sein Debüt als Operndirigent gab Ottavio Dantone 1999 mit der Uraufführung von Giuseppe Sartis Giulio Sabino am Teatro Alighieri in Ravenna. Seither war er zu Gast bei den renommiertesten Festivals, Konzert- und Opernhäusern der Welt, darunter das Teatro alla Scala in Mailand, die Berliner Staatsoper, die Salzburger Festspiele, das Glyndebourne Festival, das Teatro Real in Madrid, die Opéra de Paris, das Opernhaus Zürich, die Bayerische Staatsoper, das Maggio Musicale Fiorentino, die London Proms, die Hamburger Elbphilharmonie, das Lincoln Center, die Wigmore Hall, das Barbican Centre, das Amsterdam Concertgebouw, der Pierre Boulez Saal und die Kölner Philharmonie. 2020 wurde er von Staatspräsident Sergio Mattarella zum Kommandeur des Verdienstordens der Italienischen Republik ernannt und ist seit 2022 «Accademico di Santa Cecilia».
Così fan tutte
Wolfgang Amadeus Mozart
Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Lorenzo da Ponte
Von 20. Oktober 2019 bis 8. November 2019
-
Dauer:
ca. 3 Std. 30 Min. Inkl. Pause nach ca. 1 Std. 35 Min. -
Sprache:
In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. -
Weitere Informationen:
Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.


Ottavio Dantone


Kirill Serebrennikov
Kirill Serebrennikov ist Theater-, Opern-, Film- und Fernsehregisseur. 2012-2020 leitete er das Gogol-Center in Moskau. Der studierte Physiker führt seit 1994 Regie; Salome an der Oper Stuttgart im Herbst 2015 sowie Il barbiere di Siviglia an der Komischen Oper Berlin 2016 waren erste Arbeiten ausserhalb Russlands. Zu seinen Auszeichnungen zählen der East of West Award beim Karlovy Vary Filmfestival (2005) sowie der russische Theaterpreis Goldene Maske (2012). Sein Film Ismena (Untreue) wurde 2012 mit dem Grand Prix des Filmfestivals in Rom ausgezeichnet und für den Goldenen Löwen beim Filmfestival in Venedig nominiert. Seine Theaterinszenierungen wurden zu den Wiener Festwochen, an die Schaubühne Berlin, ans Deutsche Theater Berlin und zum Theaterfestival in Avignon eingeladen. Serebrennikov wurde im August 2017 während der Dreharbeiten zu seinem Film Leto festgenommen und stand bis April 2019 in Moskau unter Hausarrest. Die in dieser Zeit entstandenen Inszenierungen von Così fan tutte in Zürich und Nabucco in Hamburg hat er durch Videobotschaften geleitet. 2021 inszenierte er so auch Parsifal an der Wiener Staatsoper und Die Nase an der Staatsoper München; sein Spielfilm Petrov’s Flu wurde zum Filmfestival in Cannes eingeladen. Im Januar 2022 durfte er aus Russland ausreisen und konnte Tschechows Der schwarze Mönch am Thalia Theater Hamburg selbst zur Premiere bringen. Er lebt nun in Berlin und ist «Artist in Residence» am Hamburger Thalia Theater. Im Juni 2022 wurde das Gogol-Center von der russischen Regierung geschlossen. In der Oper inszenierte er zuletzt u.a. den Freischütz in Amsterdam, Lohengrin in Paris und Don Carlo in Wien.


Evgeny Kulagin
Evgeny Kulagin, geboren 1981, schloss die Akademie für Kunst und Kultur in seiner Heimatstadt Tscheljabinsk ab. 2002 gründete er gemeinsam mit Ivan Estegneyev in Kostrom die zeitgenössische Tanzkompanie «Dialogue Dance», die sich bald nach ihrer Gründung zu einem wichtigen Zentrum für zeitgenössischen russischen Tanz entwickelte. Die Aufführungen der Kompanie wurden dreimal mit der renommierten «Goldenen Maske» ausgezeichnet. Kulagin und seine Kompanie arbeiteten mit den wichtigsten Kompanien und Choreograf:innen Russlands, der Niederlande, Belgiens, Frankreichs und Österreichs zusammen. Evgeny Kulagin ist auch im Sprechtheater und für den Film als Choreograf und Regisseur tätig. Ab 2014 war er als Regisseur und Choreograf im Moskauer Gogol Center unter der Leitung von Kirill Serebrennikov engagiert. Dort inszenierte und choreografierte er Shakespeare (2017) und Zwei Zimmer (2018). Mit Kirill Serebrennikov erarbeitete er bereits zahlreiche Inszenierungen sowohl im Sprechtheater als auch in der Oper. 2018 realisierten sie gemeinsam den Film Leto (Sommer), der im selben Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes und auch am Zurich Film Festival zu sehen war. Kulagin brachte die Inszenierungen von Kirill Serebrennikov in Zürich (Così fan tutte), an der Bayerischen Staatsoper (Die Nase) und an der Wiener Staatsoper (Parsifal) auf die Bühne, während Serebrennikov in Moskau unter Hausarrest stand. Zuletzt erarbeitete er mit Serebrennikov u.a. Der Freischütz (Amsterdam), Le nozze di Figaro (Komische Oper Berlin) und Don Carlo (Wien). Am Hamburger Thalia Theater inszenierte Kulagin den Abend Apocalypse Tomorrow.


Nikolay Simonov
Nikolay Simonov wurde in Rostow am Don (Russland) geboren und studierte an der dortigen Kunsthochschule. Nach seinem Abschluss schuf er die Bühnenbilder für über hundert Opern- und Schauspielproduktionen. Dabei arbeitete er u.a. mit Regisseuren wie Kirill Serebrennikov, Yuri Butusov, Michail Bychkov, Sergei Golomazov, Marina Brusnikina und Igor Golyak. Seine Arbeit führte ihn in verschiedene Städte in Russland, Estland, Lettland und den USA. Er ist Preisträger des Jugendpreises «Triumph», der «Möwe», des «Crystal Turandot», des Oleg Tabakov Charitable Fund, der Boston Theatre Critics Association «Elliott Norton» für herausragende Bühnenbilder im Theater. Er ist zudem im Ausstellungsdesign tätig und konzipierte die Räume für Ausstellungen am Kunstmuseum Woronesch und erarbeitete das Konzept für die Rekonstruktion des Venivitinov-Museums in Woronesch. Zuletzt war er Ausstattungsleiter im Moskauer Tschechow-Theater.


Tatiana Dolmatovskaya
Tatyana Dolmatovskaya studierte Literatur in Moskau und Kostümdesign am Wimbledon College of Art. Sie war zunächst Chefredakteurin der russischen Vogue. Seit 2007 entwirft sie Kostüme für Film und Theater. Als Kostümassistentin arbeitete sie mit den Filmregisseuren Kenneth Branagh (Jack Ryan, Shadow Recruit) und Joe Wright (Anna Karenina) zusammen und war zudem als Assistentin bei der Serie The Americans engagiert. Für zahlreiche russische Filmproduktionen entwarf sie die Kostüme. Für das Theater entwarf sie u.a. Kostüme am Moscow Art Theater und am Stanislawski-und-Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater. Mit Kirill Serebrennikov arbeitete sie bereits bei dessen Filmen Leto und The Student zusammen und übernahm u.a. die Kostümmitarbeit für seine Inszenierungen von Così fan tutte am Opernhaus Zürich, Nabucco an der Staatsoper Hamburg, Die Nase an der Bayerischen Staatsoper, Parsifal an der Wiener Staatsoper, Lohengrin an der Pariser Opéra und Le nozze di Figaro an der Komischen Oper Berlin.


Franck Evin
Franck Evin, geboren in Nantes, ging mit 19 Jahren nach Paris, um Klavier zu studieren. Nachts begleitete er Sänger im Café Théâtre Le Connetable und begann sich auch für Beleuchtung zu interessieren. Schliesslich entschied er sich für die Kombination aus Musik und Technik. Dank eines Stipendiums des französischen Kulturministeriums wurde er 1983 Assistent des Beleuchtungschefs an der Opéra de Lyon. Hier arbeitete er u. a. mit Ken Russel und Robert Wilson zusammen. Am Düsseldorfer Schauspielhaus begann er 1986 als selbstständiger Lichtdesigner zu arbeiten und legte 1993 die Beleuchtungsmeisterprüfung ab. Besonders eng war in dieser Zeit die Zusammenarbeit mit Werner Schröter und mit dem Dirigenten Eberhard Kloke. Es folgten Produktionen u. a. in Nantes, Strassburg, Paris, Lyon, Wien, Bonn, Brüssel und Los Angeles. Von 1995 bis 2012 war er Künstlerischer Leiter der Beleuchtungsabteilung der Komischen Oper Berlin und dort verantwortlich für alle Neuproduktionen. Hier wurden besonders Andreas Homoki, Barrie Kosky, Calixto Bieito und Hans Neuenfels wichtige Partner für ihn. Im März 2006 wurde Franck Evin mit dem «OPUS» in der Kategorie Lichtdesign ausgezeichnet. Seit Sommer 2012 arbeitet er als künstlerischer Leiter der Beleuchtungsabteilung an der Oper Zürich. Franck Evin wirkt neben seiner Tätigkeit in Zürich weiterhin als Gast in internationalen Produktionen mit, etwa an den Opernhäusern von Oslo, Stockholm, Tokio, Amsterdam, München, Graz sowie der Opéra Bastille, der Mailänder Scala, dem Teatro La Fenice, der Vlaamse Opera und bei den Bayreuther Festspielen.


Ilya Shagalov
Ilya Shagalov wurde in Krasnodar, Russland, geboren und studierte zunächst Schauspiel an der Staatlichen Hochschule für Kunst und Kultur seiner Heimatstadt. Anschliessend studierte er Theaterregie bei Kirill Serebrennikov an der Theaterschule des Moskauer Tschechow-Künstlertheaters. Neben seiner Tätigkeit als Regisseur arbeitet er als Videokünstler, Bühnenbildner und Komponist. Er führte Regie bei verschiedenen Theaterprojekten in Russland und im Ausland, u.a. inszenierte er Träume vom Minotaurus am Theater der Nationen Moskau, Nahe Null von Natan Dubowizki an der Schaubühne Berlin, Mein Moskau am Moskauer Gogol Zentrum, Evgeny Zamyatins We am Theater in Rouen, Frankreich, sowie Venus im Pelz von Sacher-Masoch am Russischen Theater in Tallin. Ab 2013 war Ilya Shagalov am Gogol Zentrum fest engagiert. Mit Kirill Serebrennikov verbindet ihn seit seinem Studium eine enge Zusammenarbeit und er produzierte die Videos für eine Vielzahl seiner Produktionen, u.a. für Woyzeck am Nationaltheater Lettland, Salome und Hänsel und Gretel an der Oper Stuttgart, Il barbiere di Siviglia an der Komischen Oper Berlin, Nabucco an der Staatsoper Hamburg sowie Parsifal und Don Carlo an der Wiener Staatsoper.


Beate Breidenbach
Beate Breidenbach studierte zuerst Violine, dann Musikwissenschaft und Slawistik in Nowosibirsk, Berlin und St. Petersburg. Nach Assistenzen an der Staatsoper Stuttgart und der Staatsoper Unter den Linden Berlin wurde sie als Musikdramaturgin ans Theater St. Gallen engagiert, drei Jahre später wechselte sie als Dramaturgin für Oper und Tanz ans Theater Basel. Anschliessend ging sie als Operndramaturgin ans Opernhaus Zürich, wo sie bisher mit Regisseurinnen und Regisseuren wie Calixto Bieito, Dmitri Tcherniakov, Andreas Homoki, Herbert Fritsch, Nadja Loschky, Kirill Serebrennikov und anderen arbeitete und die Entstehung neuer Opern von Pierangelo Valtinoni, Michael Pelzel, Samuel Penderbayne und Jonathan Dove betreute. Gastdramaturgien führten sie u.a. an die Potsdamer Winteroper (Le nozze di Figaro, Regie: Andreas Dresen), zum Schweizer Fernsehen (La bohème im Hochhaus) und 2021 an die Opéra de Génève (Krieg und Frieden, Regie: Calixto Bieito). Mit Beginn der Spielzeit 2026/27 wird sie als Chefdramaturgin an die Deutsche Oper Berlin wechseln.
Besetzung
Andrea Del Bianco


Ruzan Mantashyan
Ruzan Mantashyan stammt aus Armenien und wurde am Staatlichen Konservatorium Jerewan, an der Accademia di Belcanto von Mirella Freni in Modena sowie in der Klasse von Hedwig Fassbender in Frankfurt ausgebildet. 2013 gewann sie den Concorso Toti Dal Monte in Treviso als Musetta (La bohème). Diese Partie sang sie anschliessend in Treviso, Bolzano, Fermo und Ferrara. Von 2014 bis 2016 war sie Mitglied des Atelier Lyrique an der Pariser Oper. Sie sang u.a. Susanna (Le nozze di Figaro) in Modena, Servilia (La clemenza di Tito) in Reggio Emilia, Echo (Ariadne auf Naxos) an der Opéra de Paris und beim Glyndebourne Festival, Fiordiligi (Così fan tutte) in Paris-Créteil, Lille, an der Bayerischen Staatsoper München, in Seoul, Zürich und Hamburg, Micaëla (Carmen) in Montpellier und Hamburg, Xenia (Boris Godunow) an der Opéra de Paris, Mimì (La bohème) am Grand Théâtre de Genève sowie an der Komischen Oper Berlin, in München und Zürich, Cleofide (Händels Poro) an der Komischen Oper Berlin, die Gräfin (Le nozze di Figaro) in Amsterdam, Marguerite (Faust) und Natascha Rostowa (Krieg und Frieden) in Genf sowie Tatjana (Eugen Onegin) in Hamburg und Lausanne. Zuletzt sang sie u.a. Rachel (La juive) in Genf, Alice Ford (Falstaff) an der Komischen Oper Berlin und Donna Elvira beim Glyndebourne Festival. In der Spielzeit 2023/24 umfassen ihre Engagements Tatjana an der Komischen Oper Berlin und an der Wiener Staatsoper, Mimì am Royal Opera House London, Massenets Cendrillon in Lausanne und die Gräfin an der Hamburgischen Staatsoper.


Anna Goryachova
Anna Goryachova stammt aus St. Petersburg und studierte am Konservatorium in St. Petersburg sowie an der der Accademia di Santa Cecilia in Rom. Ihre Karriere begann sie als Solistin der St. Petersburger Kammeroper, worauf bald schon Gastauftritte folgten, u.a. als Melibea in Il viaggio a Reims unter Alberto Zedda in Antwerpen und Gent. Von 2012-2017 gehörte Anna Goryachova zum Ensemble des Opernhauses Zürich, wo sie u.a. in Rinaldo (Eustazio), Drei Schwestern (Mascha), Don Giovanni (Zerlina), Pique Dame (Polina), Il barbiere di Siviglia (Rosina), Die Meistersinger von Nürnberg (Magdalena), Rote Laterne (Yen-Er), Il viaggio a Reims (Melibea), Orlando Paladino (Alcina), La verità in cimento (Zelim) und Norma (Adalgisa) zu hören war. Wichtige Stationen der jüngeren Vergangenheit waren Sesto in La Clemenza di Tito und Angelina in La Cenerentola in Genf, Olga in Jewgeni Onegin in Wien, Dulcinée in Don Quichote bei den Bregenzer Festspielen, Rosina am Bolschoi-Theater in Moskau und beim Festival d’Opéra Baroque in Beaune, Dido in Moskau, Adalgisa in Triest und in Neapel, ihre Debüts in der Arena di Verona, am ROH London und am Teatro Real in Madrid in der Titelpartie von Carmen, Melibea in Rom, Kopenhagen, Amsterdam und Antwerpen, Polina in Amsterdam und London, Ruggero (Alcina) im Pariser Palais Garnier, Isabella (L’italiana in Algeri) in Pesaro und Alcina (Orlando Paladino) am Théâtre du Châtelet in Paris. Ausserdem debütierte sie 2022 als Angelina am Mariinsky Theater in St. Petersburg. Die Spielzeit 2022/23 führte sie bisher als Carmen an die Deutsche Oper Berlin und als Solistin in Strawinskys Les Noces an die Accademia di Santa Cecilia in Rom.


Konstantin Shushakov
Konstantin Shushakov stammt aus Russland und studierte am Izhevsk Music College und an der Russischen Akademie für Theaterkunst. 2009 wurde er Mitglied des Young Artist Program am Bolschoi-Theater in Moskau. 2011 war er Preisträger des Queen Elisabeth Wettbewerbs in Brüssel und gewann im selben Jahr den 2. Preis beim Operalia Wettbewerb in Moskau. Ein Jahr später wurde er Ensemblemitglied am Bolschoi-Theater, wo er u.a. als Morales (Carmen), Almaviva (Le nozze di Figaro), Marullo (Rigoletto), Malatesta (Don Pasquale), Schaunard und Marcello (La bohème), Lebedjev (Der Idiot), Robert (Iolanta), Papageno und Figaro (Il barbiere di Siviglia) zu erleben war. Gastengagements führten ihn 2014 als Guglielmo (Così fan tutte) an die Scala, 2016 als Ford (Falstaff) nach Genf und als Prinz Afron (Der goldene Hahn) ans Théâtre de la Monnaie in Brüssel. 2018 gastierte er in Vancouver in der Titelrolle von Jewgeni Onegin sowie als Jelezki (Pique Dame) beim Savonlinna Festival und an der Oper in Oslo. Er ist ausserdem regelmässig als Konzertsänger zu erleben; er sang in Brahms’ Ein deutsches Requiem zusammen mit dem Russischen National Orchester in der Tschaikovsky Concert Hall unter Mikhail Pletnev und in Mozarts c-Moll-Messe mit dem Musica Viva Chamber Orchestra Moskau. 2019 bis 2023 gehörte er zum Ensemble am Opernhaus Zürich und war hier u.a. als Don Giovanni, Guglielmo, Malatesta, Marcello, Andrei Tchelkalov (Boris Godunow), Ernesto (Il pirata), Ford, Valentin (Faust) und in Ein deutsches Requiem unter Gianandrea Noseda zu hören.


Alexey Neklyudov
Alexey Neklyudov studierte an der Galina Wischnewskaja-Schule und am Gnessin-Institut in Moskau. Bereits als Student gewann er mehrere Gesangswettbewerbe. 2012 erhielt er ein Stipendium der Russischen Nationalphilharmonie, und 2015 nahm er an der Akademie des Festivals in Aix-en-Provence teil. 2010 debütierte er mit der Russischen Nationalphilharmonie unter der Leitung von Vladimir Spivakov, der ihn zum Internationalen Musikfestival nach Colmar einlud. 2013 wurde er Ensemblemitglied der Neuen Oper Moskau (Novaya Opera), wo er u. a. Lensky (Jewgeni Onegin), Tebaldo (I Capuleti e i Montecchi), Zar Barendej (Schneeflöckchen), Alfredo (La traviata) und Narraboth (Salome) sang. 2014 feierte er sein Debüt am Bolschoitheater in Moskau als Ferrando in Così fan tutte. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe debütierte er 2017 und Nemorino (L’elisir d’amore). Am selben Haus folgten Rollendebüts als Tamino (Die Zauberflöte), Oronte (Alcina) und Percy (Anna Bolena). Auserdem sang er Alfredo (La traviata) an der Deutschen Oper am Rhein als Alfredo, Lensky, Belfiore (Il viaggio a Reims) am Moskauer Bolschoitheater sowie Nemorino (L’elisir d’amore) am Theater St. Gallen und bei den Bregenzer Festspielen. Wichtige Engagements der jüngsten Zeit waren Ferrando (Così fan tutte) am Opernhaus Zürich und beim Glyndebourne Festival, Alfredo an der Komischen Oper Berlin, Indischer Kaufmann (Sadko) und Lensky am Bolschoitheater sowie Lensky unter Leitung von Lorenzo Viotti bei der Gulbenkian-Stiftung in Lissabon.


Rebeca Olvera
Rebeca Olvera stammt aus Mexiko. Sie studierte am Conservatorio Nacional de Musica in Mexiko City und war von 2005 bis 2007 Mitglied des IOS am Opernhaus Zürich. Anschliessend wurde sie hier festes Ensemblemitglied und sang u.a. Adina (L’elisir d’amore), Norina (Don Pasquale), Berenice (L’occasione fa il ladro), Giulia (La scala di seta), Rosina (Paisiellos Il barbiere di Siviglia), Blonde (Die Entführung aus dem Serail), Madame Herz (Der Schauspieldirektor), Dorinda (Orlando), Isolier (Le comte Ory), Adalgisa (Norma) und Zaida (Il turco in Italia). Dabei arbeitete sie mit Dirigent:innen wie Ralf Weikert, Vladimir Fedoseyev, William Christie, Marc Minkowski, Nello Santi, Adam Fischer, Fabio Luisi, Diego Fasolis, Franz Welser-Möst, Emmanuelle Haïm und Alessandro De Marchi. Mit José Carreras gab sie Konzerte in Südamerika und Europa (Carreras-Gala 2007 in der ARD) und mit Plácido Domingo in Mexiko. 2016 sang sie Adalgisa in Norma neben Cecilia Bartoli im Théâtre des Champs-Élysées, beim Edinburgh Festival und im Festspielhaus Baden-Baden. In Zürich war sie als Despina, Musetta, Frasquita in Carmen, Mi in Das Land des Lächelns, Zaida in Il turco in Italia, Komtesse Stasi in Die Csárdásfürstin, Waldvöglein in Siegfried und Contessa di Folleville in Il viaggio a Reims zu hören – letztere Rolle sang sie auch an der Royal Danish Opera. Sie sang Isolier an der Opéra de Monte-Carlo und Clorinda (La Cenerentola) an der Wiener Staatsoper. Ausserdem trat sie als Berta (Il barbiere di Siviglia) und im Galakonzert Carmencita & Friends bei den Salzburger Festspielen auf.


Michael Nagy
Michael Nagy, Bariton mit ungarischen Wurzeln, war zunächst Ensemblemitglied der Komischen Oper Berlin, wechselte dann an die Oper Frankfurt, wo er sich mit Papageno, Guglielmo (Così fan tutte), Graf Almaviva (Le nozze di Figaro), Hans Scholl (Die weisse Rose), Wolfram (Tannhäuser), Valentin (Faust), Jeletzki (Pique Dame), Marcello (La bohème), Albert (Werther), Frank/Fritz (Die tote Stadt), Owen Wingrave, Jason (Medea) und Dr. Falke (Die Fledermaus) wichtige Partien seines Repertoires erarbeiten konnte. Gastengagements führten ihn u.a. als Wolfram (Tannhäuser) an das Opernhaus Oslo, als Ford (Falstaff) an die Deutsche Oper Berlin, als Graf Luna (Palestrina) an die Bayerische Staatsoper München und als Nardo (La finta giardiniera) ans Theater an der Wien. Unter Simon Rattle sang er bei den Pfingstfestspielen Baden-Baden Papageno mit den Berliner Philharmonikern. Konzert-Engagements führten ihn zum Konzerthausorchester Berlin, Museumsorchester Frankfurt, Gewandhausorchester Leipzig sowie dem Schleswig-Holstein Musik Festival. Philippe Herreweghe, Helmuth Rilling, Adam Fischer, Paavo Järvi, Christoph Eschenbach und Riccardo Chailly zählen zu den prominenten musikalischen Partnern für sein breit gefächertes Konzertrepertoire. In jüngerer Zeit sang er u.a. Eugen Onegin, Stolzius (Die Soldaten), Papageno, Dr. Falke (Die Fledermaus), Guglielmo, Albert (Werther) und Le Grand-Prêtre d’Apollon / Hercule (Alceste) in München, Graf Almaviva (Le nozze di Figaro) in Zürich und Köln, Kurwenal (Tristan und Isolde) im Festspielhaus Baden-Baden sowie Don Alfonso und Wolfram von Eschenbach (Tannhäuser) in Zürich. Im Sommer 2019 war er beim Edinburgh International Festival in der Titelrolle von Eugen Onegin zu hören.


Francesco Guglielmino
Francesco Guglielmino wurde in Solothurn geboren. Mit 21 Jahren zog er nach Zürich, wo er sich seiner Tanzausbildung widmete und in den Musicals Fame und Hair auftrat. Von Zürich ging er nach New York, vertiefte dort seine Schauspieltätigkeit und nahm an der Alvin Ailey American Theater School und am Broadway Dance Center Tanzunterricht. Er arbeitete zudem als Model für Modenschauen und für die Werbung. An der Acting Studio and Stella Adler Acting School besuchte er Schauspielklassen und war als Schauspieler in verschiedenen Produktionen der Metropolitan Opera zu sehen, wie etwa in Turandot, Madama Butterfly, La bohème und Aida. Nach seinem Umzug nach Los Angeles war er in zahlreichen Fernsehproduktionen und TV-Shows zu erleben, u.a. in CSI: Miami, CSI: New York, Law and Order, The View und The Ellen Show. Zudem spielte er diverse Rollen in Filmen und Serien wie The Pink Panter, Sex and the City, Edgar, Death in Love und Till Death. Seit 2018 lebt Francesco Guglielmino wieder in Solothurn. Am Opernhaus Zürich war er in Così fan tutte, Il trovatore, Dialogues des Carmélites und Roberto Devereux zu sehen.


Mentor Bajrami
Mentor Bajrami stammt aus der Schweiz und studierte bis 2018 an der Schauspielschule European Film Actor School EFAS in Zürich. Er war in verschiedenen Produktionen der EFAS zu erleben, etwa als Trigorin und Srebrejkow in Die Möwe von Anton Tschechow, als Boris in Bella Figura von Yasmina Reza und als Jean in Fräulein Julie von August Strindberg. Zudem war er am Opernhaus Zürich in Così fan tutte und 2017 im Bernhard-Theater in der Stand Up! Comedy Show zu sehen. Seit 2018 arbeitet er freischaffend als Schauspieler in der Schweiz.
Gut zu wissen
Hat Mozart geschlafen?
Die geniale Stelle
Was ist denn das? Was singt Ferrando da bloss? Da stimmt doch etwas nicht! Rekapitulieren wir: Um die Treue ihrer Verlobten auf die Probe zu stellen, gaben zwei junge Männer vor, zum Militärdienst zu müssen, kamen dann verkleidet zurück und warben heftig um ihre beiden Damen, die sich schliesslich wirklich in die «Fremden» verliebten, allerdings jeweils in den Verlobten ihrer Schwester, wobei auch die beiden Herren in ihrer Treue durchaus wankend wurden, bis sie von dem gefährlichen Spiel genug hatten und die Komödie ihrer Rückkehr aufführten. Um die Sache aufzuklären, zeigen sie sich nun mit Teilen ihrer Verkleidung und zitieren jeweils einen Teil ihrer musikalischen Maske, die sie bisher getragen haben. Guglielmo singt ein paar Takte aus dem Duett, bei dem er Dorabella endgültig gewonnen hat, Ferrando … Ja, das eben ist die Frage: Was singt er denn da? Vier Takte, in denen er sich überraschend und anscheinend unmotiviert als Edelmann aus Albanien präsentiert - mit einer Musik, die es vorher gar nicht gegeben hat. Was hat es damit auf sich? Für dieses Rätsel fand die Mozart-Forschung eine einfache Lösung: Es ist das Zitat einer ursprünglich konzipierten, dann aber gestrichenen Passage. Vermutlich waren diese vier Takte im 2. Finale schon niedergeschrieben, als Mozart sich umentschloss, so dass sie nun quasi in der Luft hängen. Das ist eine Antwort, aber eine von denen, die die Frage nicht lösen, sondern lediglich verschieben. Denn nun rätseln wir, warum Mozart dieses falsche Zitat stehen liess und nicht durch eine andere Passage ersetzte, die besser gepasst hätte. Hat er den Fehler etwa übersehen? Das ist gut möglich. Horaz prägte das bekannte Wort, «manchmal schläft selbst der grosse Homer», und bekundete seinen Ärger darüber, dass sich selbst bei den grössten Künstlern Unstimmigkeiten oder Widersprüche finden. Da er selbst zu den grössten gehörte, konnte er sich den Zorn auf seine Kollegen leisten. Wir Normalsterblichen müssen da zurückhaltender sein und andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Zum Beispiel: Vielleicht war für eine Berichtigung einfach die Zeit zu knapp? Schwerlich. Wenn es damals nicht ungewöhnlich war, eine Opernouvertüre in der Nacht vor der Uraufführung zu schreiben, die dann von den Musikern aus den noch tintenfeuchten Stimmen gespielt wurde, hätten sich vier Takte wohl leicht austauschen lassen. Oder: Ist das Absicht? Soll das falsche Zitat Ausdruck von Ferrandos Verwirrung sein - und der aller anderen, die versuchen, aus der verfahrenen Situation einen Ausweg zu finden? Oder: Hat Mozart einfach keine Lust gehabt, der Stelle den letzten Schliff zu geben, weil er selbst an einer sinnvollen Auflösung des Knotens zweifelte? Wirkt es nicht sehr brüchig, wenn auf Ferrandos Phrase die (etwas unmotiviert) in E-Dur endet, übergangslos Guglielmo in F-Dur fortsetzt, was einen heftigen Missklang ergibt? Sieht das nicht aus wie eine verlassene Baustelle, auf der ein paar Teile herumliegen, die nicht mehr miteinander verbunden wurden? Wir können diese Fragen nicht beantworten, und also auch nicht die, ob die Stelle eigentlich eine geniale oder lediglich eine schlampige ist. Und das ist ja durchaus angemessen für ein Stück, das die Fragen, die es aufwirft, nicht löst, sondern den Zuschauern überantwortet: «Der Vorhang zu und alle Fragen offen.» Und so betrachtet: Ist das nicht doch zumindest ein wenig genial?
Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 72, Oktober 2019.
Das MAG können Sie hier abonnieren.

An ihm wird ein Exempel statuiert
Essay
Dieser Artikel erschien im Oktober 2018.
Kirill Serebrennikov ist seit einiger Zeit nicht nur einfach ein Regisseur – er ist zum Symbol eines neuen russischen Theaters geworden. Und sein «Fall» ist wie ein Prisma, durch das man – je nach Wunsch – alle politischen, ökonomischen oder ästhetischen Probleme Russlands betrachten kann.
Kirill Serebrennikov und der «Fall Serebrennikov» sind im Bewusstsein der Öffentlichkeit so sehr miteinander verschmolzen, dass sie kaum mehr zu unterscheiden sind. Versuchen wir, sie voneinander zu trennen.
Der Regisseur Serebrennikov nahm in der Theaterwelt Russlands von Anfang an eine Sonderstellung ein. Er wurde in Rostow am Don geboren und schloss sein Studium an der Fakultät für Mathematik und Physik mit hervorragenden Noten ab. Schon als Student begann er, Dokumentarfilme zu drehen und beim Fernsehen zu arbeiten; als Filmregisseur erwarb er sich seinen ersten Ruhm. Er erhielt sogar den in Russland sehr prestigeträchtigen Preis «Teffi». Aber im Unterschied zur grossen Mehrheit unserer Theaterregisseure studierte Serebrennikov nie an einer der Hochschulen für Theater, die in Russland so zahlreich vorhanden sind. Im westlichen Ausland hätte diese Tatsache vermutlich keine Bedeutung, in Russland jedoch ist das Diplom einer Hochschule für Theater eine Art Fetisch, und ein Regisseur, der es nicht besitzt, wird bis an sein Lebensende als Dilettant gelten.
Dass Serebrennikov dieses berühmt-berüchtigte Diplom nicht besass, hatte für seine Karriere viele negative Folgen, aber auch einen entscheidenden Vorteil. In den Theaterinstituten war damals die Mehrheit der Professoren überzeugt davon, dass sie ihren Studenten erklären kann, wie man eine Aufführung «richtig» inszeniert (das System Stanislawski beispielsweise wurde zu einer Art Religion erhoben), welche Aufführungen man machen soll und welche nicht. Serebrennikov verfügte nicht über dieses «sakrale» Wissen; damit hatte er aber auch viele Ängste nicht, die oft mit diesem Wissen einhergehen.
Eine der am weitesten verbreiteten Ängste in diesem Zusammenhang war die Angst der russischen Theaterszene vor zeitgenössischen Texten. Das Repertoire der grossen Theater in Russland Anfang des 21. Jahrhunderts bestand entweder aus der erprobten Klassik oder aus Komödien nach Broadway-Art. Neue Stücke wurden höchstens in Kellertheatern gezeigt. Alexej Kasanzew, der künstlerische Leiter eines dieser Kellertheater (es nannte sich «Zentrum für Dramaturgie und Regie»), hatte schon lange den Traum, Plastilin des damals noch jungen Autors Wassilij Sigarew auf die Bühne zu bringen, der heute ein sehr bekannter Schriftsteller und Filmregisseur ist. Das Stück erzählt von einem Jugendlichen, der in einer kleinen Provinzstadt lebt, wo Gewalt und Repression längst zur Norm geworden sind und man an jeder Ecke recht deftiges Vokabular zu hören bekommt. Der Autor beschreibt dieses Leben sehr anschaulich und detailreich (viele Szenen spielen auf der Schultoilette), und die russische Theaterszene war damals derart keusch, dass man sich so etwas auf der Bühne nicht mal vorstellen durfte.
Er holte zeitgenössische Dramen aus den Kellertheatern auf die Bühnen der wichtigsten Theater
Auf der Suche nach einem Regisseur für Plastilin wandte sich Kasanzev an viele russische Regisseure. Alle sagten ab. Serebrennikov sagte zu. Es wurde 2001 sein erster grosser Erfolg in Moskau. Er kam nicht nur mit dem Stück von Sigarev bestens zurecht, es gelang ihm auch auf erstaunliche Weise, diese direkt von der Strasse stammende Sprache zu poetisieren und eine gesunde ironische Distanz zum Text zu finden.
Daraufhin war es gerade Serebrennikov, der als erster die «neuen Dramen» (von den Stücken der Brüder Presnjakov bis zu Mark Ravenhills Polaroids) aus den Kellertheatern auf die Bühne der wichtigsten russischen Theater brachte. Er kannte keinen Ekel vor diesem Milieu, für das sich die russischen Theater damals zu fein waren. Er brach alle ungeschriebenen Gesetze unserer Bühnen und wurde einer der bekanntesten Regisseure Russlands. Das provozierte Neid und reizte einen grossen Teil der Traditionsbewahrer unserer Theater, die der Meinung waren, dass der «Dilettant ohne Diplom» nur dadurch Ruhm erlangt hatte, dass er die «Traditionen des russischen Theaters» zerstörte. Doch der Armee der Gegner stand eine immer grösser werdende Armee von begeisterten Fans gegenüber, zu denen viele im ganzen Land beliebte Künstler gehörten. Dass die besten Schauspieler des Landes in Serebrennikovs Inszenierungen Hauptrollen spielten, lenkte die Aufmerksamkeit Oleg Tabakovs auf Serebrennikov. Tabakov war künstlerischer Leiter des Moskauer Künstlertheaters, faktisch des wichtigsten Theaters des Landes. Tabakov, selbst ein grossartiger Schauspieler, beauftragte Serebrennikov damit, diese berühmte Bühne zu erneuern.
In den Jahren um 2000 brachte Serebrennikov im Moskauer Künstlertheater eine aufsehenerregende Inszenierung nach der anderen heraus und entwickelte dabei seinen eigenen Stil: In diesem geht das traditionelle russische psychologische Theater eine erstaunliche Verbindung ein mit greller Groteske und Elementen der Londoner und Pariser Music-Hall. Doch jeder gute Regisseur in Russland träumt von seinem eigenen Theater. Besonders schwierig, ein eigenes Theater zu bekommen, ist es für jemanden, der sich neuen Dramen zuwendet und die «russischen Klassiker verdreht». Umso erstaunlicher war es, dass 2011 unter Serebrennikovs Leitung das Projekt «Platforma» ins Leben gerufen wurde, das jetzt im Zentrum des Finanzskandals steht. Warum ist gerade Serebrennikov zum Opfer des Regimes innerhalb der Theaterwelt auserwählt worden? Und warum steht ausgerechnet «Platforma» nun im Fokus?
Die Präsidentschaft von Dmitri Medwedew steht für eine Modernisierung in der Kultur
Auf diese Fragen gibt es eine einfache Antwort. Einer der wichtigsten Oppositionellen des heutigen Russland, Alexej Navalny, führt schon lange eine Kampagne gegen die Korruption, die in den höchsten Etagen der russischen Macht blüht. Der Fall Serebrennikov ist – unter anderem – eine Antwort auf das, was Navalny aufgedeckt hat. Der Kreml agiert am liebsten spiegelbildlich. Wenn es in Moskau Demonstrationen gibt gegen Wahlfälschungen im Parlament, wird es bald danach Pro-Putin-Demonstrationen geben, die die Macht stützen. Wenn ein Vertreter der Opposition Unregelmässigkeiten aufdeckt, die die Finanzen in den höchsten Etagen der Macht betreffen, kann man sicher sein, dass es auch in den Reihen ebendieser Opposition bzw. der liberalen Intelligenzija entsprechende Enthüllungen geben wird. Diese Enthüllungen müssen natürlich für viel Aufsehen sorgen, und der Name dessen, der im Zentrum der Enthüllungen steht, muss in aller Munde sein.
Für diese Ziele ist die Theaterszene besonderes geeignet. Einerseits ist das Theater diejenige Kunstform, die am stärksten von staatlichen Geldern abhängig ist. Zum anderen ist unsere Gesetzgebung in Bezug auf die Finanzen so, dass man im Theater eigentlich gar nichts machen kann, ohne die Gesetze zu brechen. Wenn ein Intendant sich streng an das Gesetz hält, kann er weder die Kostüme rechtzeitig kaufen noch das Toilettenpapier. Das macht es sehr einfach, innerhalb der Theaterszene Verstösse gegen das Gesetz aufzudecken. Hier lässt sich in nützlicher Frist und in Bezug auf den unerwünschten Künstler immer irgendeine «Veruntreuung» aufdecken.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Der unsichtbare Teil des Eisbergs ist deutlich interessanter. Wenn wir heute zurückschauen, verstehen wir, dass wir 2011, als «Platforma» gegründet wurde, in einer ganz anderen Epoche lebten. Die Krim war noch nicht annektiert worden, Kontakte mit dem Westen wurden noch nicht begrenzt, sondern im Gegenteil erweitert, das Gesetz über die Verletzung der religiösen Gefühle Gläubiger war in der jetzigen Version noch nicht verabschiedet, und die Vertreter moderner Kunst galten noch nicht als nationale Verräter. Darüber hinaus haben die Mächtigen gerade in den 10er Jahren, als Dmitri Medwedew Präsident war, zum ersten Mal in der neueren Geschichte der Russischen Föderation lauthals verkündet, dass sie bereit dazu sind, das, was gemeinhin als moderne Kunst bezeichnet wird, zu unterstützen. Schon bei uns herrscht ein eher oberflächliche Verständnis von der vierjährigen Regierungszeit Medwedews – im Westen jedoch sieht man das noch oberflächlicher, dort ist scheinbar «alles klar»: Medwedew war bloss ein Platzhalter Putins auf dem Thron. Aber letztlich ist es nicht so wichtig, wie gross die Machtbefugnisse Medwedews wirklich waren. Wichtig ist etwas anderes: In die Jahre seiner Präsidentschaft fällt die Aufforderung zur Modernisierung und «Verwestlichung» verschiedenen Bereichen der Gesellschaft: der Industrie, der Wirtschaft, der Wissenschaft... In den Jahren unter Medwedew wurde die Gesetzgebung in Bezug auf die Wirtschaft stark liberalisiert. Die ehemals zwei Jahre Wehrpflicht wurden auf ein Jahr verkürzt. In den Schulen wurde ein Zentralabitur eingeführt, und der Ausbildungsstandard wurde westlichen Standards angenähert. Interessant ist auch, dass in diesen Jahren die Miliz in «Polizei» umbenannt wurde. Das scheint eine rein dekorative Massnahme zu sein, doch im russischen Kontext hat sie eine besondere Bedeutung. Polizei – das ist etwas «Westliches», während der Begriff Miliz aus der Sowjetzeit stammt.
Im Rahmen dieser Modernisierung erinnerte sich das Establishment im zweiten Jahr von Medwedews Präsidentschaft auch an die Kultur. Es wurde klar, dass es sehr schwer ist, grundlegende Reformen im Bereich der Ökonomie durchzuführen, und dass rein dekorative Massnahmen (Polizei statt Miliz) nicht ausreichen würden. Die Reformen innerhalb der Kultur sollten Ersatz sein für die Modernisierung, die in den anderen Bereichen nicht wirklich stattgefunden hatte.
Von dem Treffen Medwedews mit Vertretern verschiedener Künste, das am 24. März 2011 stattfand, existieren Stenogramme, aus denen hervorgeht, dass der Kreml in diesem Moment den neuen Trends nicht nur offen gegenüberstand, sondern sie in gewissem Sinne sogar provozierte. Hier ein Zitat aus der Rede des Präsidenten: «Meiner Ansicht nach sollte die Modernisierung, von der ich so oft spreche und von der auch andere Kollegen sprechen, diese Modernisierung unseres Lebens, der ökonomischen Grundlagen, des politischen Systems von Menschen durchgeführt werden, die offen sind für diese Entwicklung. Menschen, die sich mit moderner Kunst beschäftigen, sind normalerweise offen für Veränderung. Hier gibt es, wenn Sie so wollen, eine direkte Verbindung...»
In der Kultur jedoch gibt es eine nicht ganz einfache Sparte namens Theater. Und die zu modernisieren, ist schwieriger als alles andere, denn eben dieses Theater scheint sich jeglichen Entwicklungen der neuen Zeit zu widersetzen. Seit 1991 wurde alles mögliche erneuert (ob das gute oder schlechte Erneuerungen waren, ist eine andere Frage), aber die sperrigen, unbeweglichen Repertoiretheater und die ebenso unbeweglichen und konservativen Hochschulen für Theater haben sich seit 1975 oder sogar seit 1955, also seit der Stalinzeit, nicht verändert. Die Strukturen der Macht brauchten plötzlich jemanden, auf den sie in ihrem Bestreben nach Modernisierung (sowohl auf organisatorischer als auch auf ästhetischer Ebene) setzen konnten. Kirill Serebrennikov erwies sich als einer dieser Menschen, die, ich wiederhole es, in unseren Theatern so rar sind.
Eine weitverbreitete Version besagt, dass der bekannte Regisseur mit ausgestreckten Händen zum Kreml gegangen sei und um Geld für irgendwelche Projekte gebeten habe. Diese Version ist nichts als ein Mythos. Es war genau andersherum. Im Rahmen der Modernisierung schauten die Mächtigen sich um und stellten sich die Frage: Auf wen können wir im Theater zählen? Wer ist diese symbolische Figur? Da fiel ihnen Serebrennikov ein.
So entstand 2011 das von den Mächtigen initiierte Projekt «Platforma», das vier Sparten miteinander verband – modernen Tanz, zeitgenössische Musik, modernes Theater und Multimedia. Schwer zu sagen, wie viele Choreografen, Komponisten, Künstler, Musiker, Schauspieler, Performer an den vielgestaltigen Veranstaltungen des Projekts «Platforma» teilnahmen. Und schwer zu zählen, wie viele Veranstaltungen es gab. Als die Beteiligten eine Dokumentation der damaligen Zeit erstellen wollten, kamen mehr als 80 (!) Theaterplakate zusammen. Es lohnt sich, zu erwähnen, dass für die Mehrheit der Künstler, Komponisten, Regisseure, die Serebrennikov engagierte, die Türen eines Repertoiretheaters für immer verschlossen bleiben würden. Es war der Versuch, ein paralleles Kulturleben aufzubauen, mit einem Schwerpunkt auf neuen Ideen und einem europäischen Entwicklungsmodell. Der Erfolg von «Platforma» hat das Gogol-Zentrum hervorgebracht. 2012 ernannte der damalige progressive Leiter des Moskauer Kulturdepartements Sergej Kapkov Serebrennikov zum künstlerischen Leiter des trostlosen Moskauer Gogol-Theaters, in das die Theaterkritiker schon lange keinen Fuss mehr gesetzt hatten. Dieses Theater verwandelte Serebrennikov in einen Vorposten avantgardistischen Theaters – ins Gogol-Zentrum. Er gründete in Moskau ein Theater neuen Typs, dessen Türen den Zuschauern fast 24 Stunden offen stehen, in dem neben Vorstellungen und Premieren auch Gesprächsrunden stattfinden, politische Diskussionen, Vorträge, Filmvorführungen, und wo sich ständig liberal und oppositionell gesinnte Menschen versammeln. All das passierte in der kurzen Medwedew-Epoche. Diese neue Institution rief eine Welle von Protesten und Skandalen hervor, und zwar besonders von Seiten der Theaterleute: Die Schauspieler aus dem ehemaligen Ensemble des Gogol-Theaters, die jede Modernisierung kategorisch ablehnten, gingen in Moskau auf die Strasse und riefen mit patriotischen Losungen die Macht dazu auf, die «Zerstörung der nationalen Werte» zu stoppen. Sie schrieben an alle Instanzen – von der Duma bis zur Staatsanwaltschaft – Anzeigen, in denen sie die Aufführungen des neuen künstlerischen Leiters aller möglichen Sünden bezichtigten: der Verwendung verbotenen Vokabulars, der Verletzung religiöser Gefühle, der Propagierung von Homosexualität und Pädophilie und nebenbei auch noch der Veruntreuung von Subventionsgeldern.
Der oberste Herrscher Putin wählt die Ideologien ganz nach seinem Bedarf aus
Diese Anzeigen belegen, dass der Gegensatz von russischer Gesellschaft und russischer Macht, mit dem westliche Journalisten so häufig operieren, die Situation nicht ganz zutreffend beschreibt. In allen Segmenten der russischen Gesellschaft, angefangen von der Spitze der Machtpyramide bis hin zur Theatergemeinde, gibt es Verfechter der Modernisierung und Verfechter des Alten, Liberale ebenso wie Staatstreue. Es genügt zu sagen, dass man im Theater in Rostow am Don, der Stadt, in der Serebrennikov geboren wurde und aufgewachsen ist, bis heute die in der Tradition des «sozialistischen Realismus» stehende Aufführung Stalin, der Uhrmacher über Stalin als effektiven Manager sehen kann; der Regisseur ist Alexander Pudin. Es wäre naiv, anzunehmen, dass Pudin von irgendwelchen hohen Beamten dazu gezwungen wurde, diese Vorstellung auf die Bühne zu bringen. Er tat das aus freien Stücken. Solche Pudins gibt es in Russland viele. Und jeder von ihnen ist bereit, Anzeige zu erstatten gegen den «falschen», nicht traditionell arbeitenden Regisseur.
In den Jahren von Medwedews Herrschaft war die Erzählung der konservativen Theatermacher darüber, wie schrecklich der Zerstörer der russischen Tradition und Moral ist, vor allem für sie selbst interessant. In den Jahren darauf veränderte sich die Atmosphäre im Land radikal. 2012 wurde Wladimir Putin zum dritten Mal gewählt. Genauer gesagt, er bestieg wieder den Thron, den er vorübergehend Medwedew überlassen hatte, und überliess diesem gnädig den Posten des Ministerpräsidenten. In seiner Wahlkampagne legte Putin den Schwerpunkt nicht auf Modernisierung, sondern auf die Bewahrung der alten Werte. Er verliess sich offenbar darauf, dass er in Zeiten ökonomischer Schwierigkeiten (der Ölpreis hatte bereits zu fallen begonnen) seine Macht nur erhalten konnte, indem er sich auf archaische Dinge stützte, die aus den tiefsten Tiefen des Volkes kommen, auf die Idee eines Imperiums, in der sich auf paradoxe Weise orthodoxe Traditionen mit der Verherrlichung der sowjetischen Vergangenheit vermischen.
Die Epoche von Putins Herrschaft dauert nun schon 18 Jahre. In Wirklichkeit sind es jedoch mehrere, verschiedene Epochen. Stellen Sie sich vor, dass Sie im Theater sitzen. Der Vorhang ist geschlossen, darauf steht PUTIN. Aber was für eine Aufführung gezeigt wird, wenn der Vorhang aufgeht, wissen Sie nicht. Ungefähr so sieht die Geschichte des «Putinismus» aus. Der oberste Herrscher hat, im Grunde genommen, keine Ideologie. Sie wird nach Bedarf für den Machterhalt ausgewählt. 2012 brauchte Putin die Idee des grossen Russland, das seine Traditionen pflegt und sich dem verfaulenden, amoralischen und sich Russland überlegen fühlenden Westen mutig entgegenstellt. Da die Ideologien nach Bedarf ausgewählt werden, kommt man nicht darum herum, sich auf Menschen zu stützen, für die die jeweilige Ideologie geradezu den Sinn des Lebens ausmacht.
Die Aufgabe des Kulturministers fiel Wladimir Medinski zu, einem eingefleischten Anti-Westler und Hurra-Patrioten, der sowohl mit den obskursten Kreisen der russisch-orthodoxen Kirche als auch mit dem Geheimdienst FSB eng verbunden ist. Zur Zeit Medwedews war jedes dritte Wort in den Dokumenten, die vom Kulturminister kamen, «Innovation». Nach 2012 wurden diese Dokumente umgeschrieben, und das Wort «Innovation» wurde sorgfältig durch «Tradition» ersetzt.
Die Beziehung des neuen Ministers zum Premierminister Medwedew war von Anfang an konfliktreich. Seinen unmittelbaren Chef nahm der Kulturminister nicht ernst; zurecht ging er davon aus, dass der Schutz der hohen Beamten im Geheimdienst seine Position quasi unangreifbar machen würde.
Das Amt Medinskis wurde faktisch zum Zentrum der konservativen Revolution in Russland. Von ihm stammt die Idee der heute wirksamen finanziellen Zensur, die sich als sehr viel schlimmer erwiesen hat als die ideologische Zensur sowjetischer Prägung. Was riskierte ein Regisseur oder Intendant, wenn er zu sowjetischen Zeiten eine politisch nicht opportune Inszenierung auf die Bühne brachte? Er riskierte, dass die Kontrollorgane die Aufführung verbieten oder Änderungen erzwingen. Jetzt ist das Risiko viel höher. Offiziell gibt es keine Zensur, aber praktisch passiert Folgendes: Wenn du etwas nicht so inszenierst, wie es den inoffiziellen Zensoren gefällt, kann jedes beliebige Vergehen gegen die absurden Finanzgesetze gegen dich verwendet werden. Auf diese Art und Weise riskiert jeder Regisseur, der sich entscheidet, eine radikale Inszenierung auf die Bühne zu bringen, nicht nur die Aufführung, sondern uch die Freiheit des Intendanten, der alle finanziellen Dokumente unterschrieben hat, und sogar, wie sich herausgestellt hat, seine persönliche Freiheit. Die Selbstzensur ist unter den Theaterschaffenden in Russland inzwischen so stark geworden, dass es keine tatsächliche Zensur mehr braucht.
Die Kunst rückt ins Zentrum einer konservativen Revolution
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Medinski und seine Gefolgsleute aus dem FSB und der russisch-orthodoxen Kirche die Initianten des «Falls Serebrennikov» waren. Dieser Fall ist nicht nur ein Krieg der neuen Beamtengeneration gegen die Theaterschaffenden. Es ist auch ein Krieg gegen die Beamten, die während der Regierungszeit Medwedews für die Politik der Modernisierung verantwortlich waren. Die Kommunikation mit ihnen verläuft so: Wir haben uns jetzt Ihren Protegé vorgenommen. Aber früher oder später nehmen wir uns Sie selbst vor, denn Sie hatten vor, das grosse, unabhängige Russland in einen Teil der verfaulenden westlichen Welt zu verwandeln. Wladimir Putin hat den Dschinn des Konservatismus aus der Flasche gelassen, aber dieser Dschinn hat schon bald angefangen, selbständig zu wirken. Und es ist noch nicht ausgemacht, wer sich wem unterwerfen wird.
Für all das, was ich hier beschreibe, gibt es das schöne englische Wort Backlash. Das ist eine Reaktion auf den Modernisierungstrend der vergangenen Zeit, auf einen Ruck der Gesellschaft nach vorne. Vielleicht nicht mal ein Ruck, sondern lediglich der Versuch eines solchen Rucks. In Russland waren solche Bewegungen immer von kurzer Dauer.
Es genügt schon, sich an den Abgrund zu erinnern, der sich zwischen der gross-artigen russischen Avantgarde der 1920er-Jahre und dem stalinistischen Totalitarismus aufgetan hat. Stalins Wunsch nach Alleinherrschaft hatte die gnadenlose Vernichtung aller Konkurrenten zur Folge. Neben den persönlichen Ambitionen Stalins ging es damals noch um etwas anderes: Um die archaischen Bedürfnisse eines grossen Teils der Bevölkerung, für die die antiwestlichen Ideen, die Erschaffung eines neuen (sowjetischen) Reiches mit einem neuen Zaren bedeutend vielversprechender waren als alle revolutionären Vorhaben der Jahre davor. Man könnte lange davon erzählen, wie in der Stalinzeit ein Modernisierungsprojekt der 20er-Jahre nach dem anderen zurückgedreht wurde (angefangen von der sexuellen Revolution bis zu den neuen Errungenschaften in der Pädagogik). Und man könnte viele avantgardistische Trends im Theater, in der Literatur, in der bildenden Kunst aufzählen, die in der Stalinzeit vernichtet wurden. Nicht sofort, nach und nach. Aber gegen Ende der Stalin-Epoche, also Ende der 50er-Jahre, gibt es im Land weder das Theater Mejerhold, noch das Theater Alexander Tairow, noch das Jüdische Theater von Solomon Michoels, noch die grossartigen russischen «Oberiuten» von Daniil Charms und anderen. NICHTS von dem, was wenigstens teilweise an die künstlerisch so aufregenden 20er-Jahre erinnern würde. Das revolutionäre Projekt, das bis dahin auf die ein oder andere Weise im Land umgesetzt worden war, wurde in den Jahren des Stalinismus durch Restauration ersetzt, obwohl an die Fassade der Sowjetunion formal nach wie vor linke Losungen gepinselt wurden.
Natürlich kann man den kurzen Versuch der Modernisierung während der Präsidentschaft Medwedews nicht mit der Epoche der russischen Avantgarde vergleichen, und der derzeitige Backlash läuft, Gott sei Dank, weniger blutig ab als vor 70 Jahren. Doch im Kern ist es dasselbe.
Es ist nur folgerichtig, dass auch jetzt – ebenso wie Ende der 20er-Jahre – die Kunst wieder im Zentrum der konservativen Revolution steht. In einem Land, in dem es seit der Stalinzeit als Verrat an der Heimat gilt, sich mit avantgardistischen Entwicklungen oder westlichen Trends zu beschäftigen und in dem die Klassiker in Ikonen verwandelt wurden, die nach strengen Regeln angebetet werden müssen, werden politische Fragen schon lange mit dem Massstab der Ästhetik gemessen.
Die Logik der neuen Traditionalisten ist einfach: Wenn Menschen, die moderne Kunst verstehen, bereit sind zur Modernisierung, dann bedeutet das, dass alle, die sich mit moderner Kunst beschäftigen, schon allein dadurch verdächtig sind. Kirill Serebrennikov ist zu einer emblematischen Figur des Modernisierungstrends geworden, und gerade er wird nun im Namen der konservativen Revolution geopfert. Sein «Fall» ist nur der sichtbarste Teil im Kampf der zwei Kräfte, die man vereinfacht die archaische und die modernisierende Kraft nennen könnte. Der Ausgang dieses Kampfes wird davon abhängen, welche Vorstellung wir in der nächsten Zeit sehen werden, wenn der Vorhang aufgeht, auf dem steht: PUTIN.
Text von Marina Davydova, Theaterkritikerin, Historikerin, Produzentin, Autorin, Herausgeberin und künstlerische Leiterin des Festivals NET in Moskau.
Übersetzt aus dem Russischen von Beate Breidenbach.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 63, Oktober 2018.
Das MAG können Sie hier abonnieren.
Synopsis
Erster Akt
Beim Gespräch unter Männern geraten Ferrando und Guglielmo mit ihrem Freund Alfonso in Streit. Während Alfonso aus eigener Erfahrung nicht mehr daran glaubt, dass Frauen treu sein können, sehen die jungen Männer die Sache ganz anders: Ihre Verlobten Fiordiligi und Dorabella seien ihnen absolut treu, davon sind sie fest überzeugt. Alfonso schlägt eine Wette vor, auf die sich Ferrando und Guglielmo im Eifer des Gefechts auch einlassen: Alfonso will ihnen beweisen, dass Fiordiligi und Dorabella ebenso untreu sind wie alle anderen Frauen auch.
Die beiden Schwestern schwärmen die Bilder ihrer Verlobten an. Sie können es kaum erwarten, Ferrando und Guglielmo endlich wiederzusehen. Doch statt der beiden jungen Männer wartet Alfonso auf sie und eröffnet den Frauen, dass Ferrando und Guglielmo einberufen worden sind und sofort abreisen müssen. Verzweifelt nehmen die Frauen Abschied. Das Spiel hat begonnen.
Fiordiligi und Dorabella geben sich ihrem Schmerz hin. Auch Despina kann die beiden nicht trösten – sie hält den Frauen einen Vortrag darüber, dass Männer Treue gar nicht verdienen.
Alfonso besticht Despina. Sie soll ihm dabei helfen, zwei fremden, exotisch aussehenden Männern Zugang zum Haus der Schwestern zu verschaffen. Kaum sind die Männer da, überschlagen sich die Ereignisse: Dorabella und Fiordiligi werden mit Liebesschwüren bedrängt. Doch Fiordiligi weist die Fremden mit einer Ansprache über weibliche Standhaftigkeit zurück. Ferrando und Guglielmo glauben ihre Wette schon gewonnen. Doch Alfonso weiss: Das Spiel ist noch nicht zu Ende.
In einer gross inszenierten Selbstmordszene spielen die Fremden den beiden Schwestern vor, sie wollten sich aus Liebe zu ihnen umbringen. In den Herzen der Frauen beginnt sich Mitleid für die Fremden zu regen. Nachdem Despina, als Arzt verkleidet, die vermeintlich Sterbenden ins Leben zurückgeholt hat, bestürmen sie die Frauen erneut.
Zweiter Akt
Despina provoziert Fiordiligi und Dorabella mit ihren Ansichten darüber, wie selbstbewusst Frauen mit Männern umgehen sollen. Die Schwestern beginnen, in Gedanken mit dem Feuer zu spielen; dabei stellt sich heraus, dass beide ihre Wahl in Bezug auf die beiden Unbekannten längst getroffen haben.
Dorabella gibt sich dem fremden Mann nach kurzer Unsicherheit hin. Fiordiligi dagegen kämpft gegen ihre heimlichen Wünsche an und wehrt den Fremden zunächst ab.
Ferrando muss sich trotz seinem Schmerz und seiner Wut über Dorabellas Untreue eingestehen, dass er Fiordiligi noch immer liebt. Despina lobt Dorabella, die aus Despinas Sicht das Richtige getan hat. Fiordiligi ist vollkommen verstört von ihren eigenen Emotionen. Doch auch sie kann schliesslich der Versuchung nicht mehr widerstehen und gibt sich dem Fremden hin. Nun ist auch Guglielmo, der Fiordiligi beobachtet hat, wütend und verzweifelt.
Alfonso legt den beiden verwirrten und verletzten Liebhabern eine realistische Sicht auf das Leben und die Liebe nahe. Die Frauen könnten nun mal nicht anders. Così fan tutte!
Dann wird alles für die Doppelhochzeit vorbereitet. Despina, nun als Notar, lässt die Frauen den Hochzeitsvertrag unterschreiben, als plötzlich Militärmusik erklingt. Fiordiligi und Dorabella sind über die Rückkehr ihrer Verlobten zu Tode erschrocken.
Ferrando, Guglielmo und Alfonso decken das Spiel auf. Alfonso fordert die Paare auf, sich zu versöhnen und einander zu vergeben. Die beiden Paare sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.