Don Pasquale, ein nobler Herr von gut 70 Jahren, will zum ersten Mal in seinem Leben heiraten. Das Sujet des verliebten, heiratswütigen Alten ist eines der ältesten und beliebtesten der Komödienliteratur. Warum ist das so?
Don Pasquale ist in Not, weil sein verliebter Neffe sich weigert, seine dynastische Pflicht zu erfüllen. Er scheint wenig Erfahrung mit Frauen zu haben, er verlässt sich da ganz auf den Rat eines Intriganten. Die alten, reichen Männer, die in der Regen bogenpresse als Ehemänner junger Frauen auftreten, sind ein ganz anderer Schlag: befehlsgewohnt, eheerfahren, glauben sie, sich an der Seite einer jüngeren Frau selbst zu verjüngen, wie der biblische König David. Sie bleiben auch in ihren Beziehungen zu den jüngeren Geliebten oder Ehefrauen machtbewusst. Don Pasquale aber entpuppt sich in der Ehe als ein im Grund gutherziger Tölpel, völlig hilflos, wenn seine Erwartungen nicht erfüllt werden, am Ende einsichtig und bereit, nachzugeben. Die Entwicklung dieses gebrochenen Helden in Donizettis Werk spiegelt den Umbruch von der feudalen zur bürgerlichen Epoche, der sich in den grossen Opern Mozarts und Rossinis bereits ankündigt. Donizettis Oper zeigt den Sieg der romantischen Liebe über die feudale Ordnungs-ehe. In Le nozze di Figaro ist das noch ein Kampf mit ungewissem Ausgang, im Don Giovanni bleibt der adelige Wüstling dem Bauern- und Dienervolk weit überlegen. Er spielt mit Zerlina, Masetto und Leporello, während Don Pasquale, ein adeliger Trottel, den Emporkömmlingen ausgeliefert ist. Nur dass Don Giovanni seinen Diener über seine Amouren Buch führen lässt, spricht für den Einbruch der bürgerlichen Wirtschaft in die laszive Welt des Rokoko. Es braucht ein Gespenst, um den adeligen Herrn aus seiner Bahn zu werfen; die Macht der Frauen hat da noch keine Chance.
Warum empfinden wir das Ansinnen, dass ein Mann im höheren Alter eine jüngere Frau heiraten möchte, auch noch im Jahr 2019 als Anmassung?
Ich würde sagen: nicht «auch noch im Jahre 2019», sondern «endlich im Jahre 2019». In feudalen Zeiten war die Hochzeit alter, mächtiger Männer mit viel jüngeren Frauen eine dynastische Selbstverständlichkeit. Auch in mächtigen Unternehmerfamilien der Gegenwart spielen Frauen eine Rolle, die als Sekretärin oder Kindermädchen in den Haushalt des Patriarchen kamen und den Statusgewinn durch eine Ehe zu nutzen wussten.
Was erhofft sich ein älterer Mann gemeinhin von einem solchen Schritt?
«Erhofft» klingt sehr geplant und rational. Ich würde sagen: Er kann der Versuchung nicht widerstehen, sich seine Potenz zu beweisen und die imaginäre Rivalität um eine von vielen begehrte Frau zu gewinnen. Denken wir an den amerikanischen Bauunternehmer, der inzwischen leider in die Politik gegangen ist. Jüngere Geliebte sind eine narzisstische Aufwertung, das gilt inzwischen, freilich in bescheidenerem Umfang, auch für Frauen.
Was kann ein älterer Mann einer jüngeren Frau bieten?
Teilhabe an seiner Macht, seinem Reichtum, seiner Erfahrung. Aber es gibt auch subtilere Einflüsse. Manche Frauen finden gleichaltrige Männer unreif und selbstbezogen; sie suchen in ihren erotischen Beziehungen etwas wie die Reparatur einer unbefriedigenden, enttäuschenden Beziehung zu ihren Eltern. Das Versprechen des älteren Partners liegt dann eher in der Sehnsucht, doch noch einen guten Vater, eine liebevolle Mutter zu finden. Don Pasquale ist begeistert von der Idee, eine Frau zu ehelichen, die wie er selbst eher menschenscheu ist und sich von Vergnügungen fernhält - würden Sie ihm bei der Suche nach einer solchen Frau behilflich sein? Eheanbahnung ist nicht mein Gewerbe. Aber ich würde grundsätzlich davon abraten, jemanden zu heiraten, den man nicht gründlich kennt. Ist nicht originell, hat schon Schiller gesagt: «Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich auch Herz zum Herzen findet!» Don Pasquale lässt seine Ehe von einem Betrüger arrangieren; ein Menschenkenner ist er nicht.
Welches sind die häufigsten Konflikte in Beziehungen mit grossem Altersunterschied?
Oft wünscht sich eine junge Frau Kinder; der ältere Partner will das nicht, er hat schon welche aus seiner ersten Ehe. Viele Probleme ergeben sich erst im Lauf der Zeit, wenn etwa der ältere Partner pflegebedürftig wird. Andere Konflikte hängen mit der Asymmetrie zusammen: Anfangs wird der ältere Partner bewundert, die junge Frau lernt viel von ihm. Dann hat sie ausgelernt und will jetzt gemeinsame Unternehmungen starten, Neues erobern, während er ruhebedürftiger und in ihren Augen zu bequem ist, an seinem alten Stiefel festhält.
Welche Probleme können grundsätzlich innerhalb einer Familie auftreten, wenn ein älteres Familienmitglied sich entscheidet, nochmals zu heiraten?
Das biedermeierliche Bild von Greis und Greisin, die sich still bescheiden und - verwitwet - möglichst viel des im Lauf ihres Lebens Erworbenen ihren Kindern vererben, entspricht allein den Interessen der jüngeren Generation. Es engt den Spielraum älterer Menschen ein. Viele 70-Jährige erleben sich noch vital und erotisch aktiv. Das ist durch die Verbesserung der medizinischen Versorgung und des verbreiteten Wissens über gesunde Lebensführung im 21. Jahrhundert viel häufiger der Fall als zu Rossinis und Donizettis Zeiten. Auch gegenwärtig gibt es heftigen Streit in Familien, wenn ältere Männer oder Frauen eine neue Beziehung eingehen. Wenn erwachsene Kinder Partei gegen die neue Beziehung ergreifen, gibt es viel böses Blut. Kritische Kinder werden enterbt, wenn sie sich weigern, die neue Beziehung zu akzeptieren. Die Familie findet kein Patchwork, sie zerbricht in Grabenkriegen. Don Pasquale denkt dynastisch und fühlt sich verpflichtet, die Erbfolge zu überwachen. Deshalb streitet er mit Ernesto und stellte sich anfangs dessen Liebe in den Weg. Damit gehört er eigentlich in die feudale Epoche. Die war 1840 an sich ein alter Hut, aber sie sollte doch nach Revolution und Napoleons Scheitern in Teilen wiederhergestellt werden. Don Pasquales Tölpelhaftigkeit ist eine politische Aussage im Kleid der Opera buffa.
Warum ist der Wunsch Don Pasquales nach Verjüngung - eine junge Frau heiraten, Kinder zeugen - in den Augen der Öffentlichkeit auch heute noch oft Anlass zur Heiterkeit? Warum fällt uns das so schwer, Verständnis dafür aufzubringen, wenn ein alternder Mann vor dem Schreckensszenario der Einsamkeit, der Krankheit und des Todes zu fliehen versucht?
In die Erheiterung mischt sich oft Häme. Ich sehe beides kritisch. Gewaltfreie sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen sollten inkommensurabel sein. Daher möchte ich moralisierende Bewertungen grundsätzlich auf die Interessen der Urteilenden hin in Frage stellen. Ich finde auch die Frage albern, die dann in den Illustrierten auftaucht: Warum tun Männer (seltener Frauen) das? Ich würde antworten: weil sie es können - und warum denn nicht? In den oft hämischen, abwertenden Reaktionen auf die Erotik zwischen alt und jung (und ähnlich zwischen reich und arm) sehe ich neben Sexualneid auch unsere sexualfeindlichen kulturellen Traditionen am Werk. Die Konsumenten solcher Stories finden einen doppelten Genuss: Sie können an der geschilderten und bebilderten Erotik teilhaben - und sich gleichzeitig moralisch über die dargestellten Personen erheben. Dabei ist es an sich egal, ob Herr Müntefering eine jüngere Frau heiratet oder Frau Klum einen jüngeren Mann. Auch diese umgekehrte Verbindung, ältere Frau - junger Mann, wird vorwiegend hämisch kommentiert. Sie profitiert allenfalls ein wenig vom Triumph, dass Frauen jetzt ein bisher Männern vorbehaltenes Gebiet erobern.
Don Pasquale ist reich und adelig. Wie oft ist auch heute noch die Partnerwahl nicht nur durch Amors ominöse Pfeile gelenkt, sondern durch den Austausch von Ressourcen und Bedürfnissen, beispielsweise durch den Tausch von Attraktivität gegen sozialen (männlichen) Status?
Amors Pfeile werden von komplexen Situationen gelenkt. Es ist ein Unding, diese wertend aufzudröseln nach dem Motto: «Du liebst nicht mich, du liebst nur meinen Körper» (sagt die schöne Frau) oder «Du liebst nicht mich, du liebst nur mein Geld und meinen Status» (sagt der ältere, erfolgreiche Mann). Müssen wir hässlich und arm sein, um die reine Liebe zu finden? Das kalendarische Alter sagt an sich wenig über eine Person. Fitte Sechzigjährige haben oft ein aktiveres Sexual leben als Dreissigjährige; das biologische Alter unterscheidet sich bei Personen, die auf ihre Gesundheit achten, erheblich vom kalendarischen. Das Alter als Unterscheidungsmerkmal erfreut sich einer trivialen, aussagearmen Beliebtheit; es zur «Ursache» von Störungen oder Schwächen zu erklären ist einfach schlechte Psychologie oder Medizin. Der Altersunterschied in der Liebe fällt auf, weil er das Bild des Aus klingens, des «Lebensabends» durch einen Neuanfang stört. Aber es ist doch ein Mythos, dass wir alle im Alter ruhiger werden! Das triviale Bild vom Altern in Würde und Stille ist ein dummes Klischee, das überhaupt nicht zu einem im Prinzip sein Leben lang von Leidenschaften bestimmten Wesen wie dem Menschen passt. Oft gilt eher das Gegenteil: Ältere Menschen haben den Leidenschaften, die in ihnen hochsteigen, weniger entgegenzusetzen als junge, die sich besser kontrollieren können.
Würden Sie als Paartherapeut die Verbindung zwischen einem älteren Mann und einer jungen Frau grundsätzlich gutheissen?
Ein Therapeut sollte kein Sittenrichter sein. Bindungen können sich unter zunächst günstig erscheinenden Bedingungen auflösen und ebenso unter ungünstigen Voraussetzungen festigen. Es geht in dauerhaften Liebesbeziehungen immer darum, Illusionen in einer Weise zu korrigieren, welche Nähe und Zuneigung nicht gefährdet, sondern festigt. Wenn der ältere Partner aus früheren Beziehungen etwas wie Lebensweisheit mitgenommen hat und seine Erfahrungen konstruktiv einbringen kann, ist das sehr produktiv. Don Pasquale zeigt da exakt, wie es gerade nicht sein sollte: er hat keine Ahnung, was eine Ehe bedeutet, er fühlt sich nur in seinem Junggesellenleben gestört, überlässt seiner Frau alle Initiative und macht eine jämmerliche Figur.
Stimmt es, dass in den meisten Fällen erfolgreiche und glückliche Paare einander ziemlich ähnlich sind, was Alter, Bildung und Attraktivität betrifft?
Im Prinzip ja. Selbst ein Tennisspiel wird langweilig, wenn immer nur eine oder einer die Punkte macht. Aber andere Faktoren sind ebenso wichtig, beispielsweise die Fähigkeit zur Selbstdistanz, zum Humor. Wenn sich in Bildung, Alter und Attraktivität ähnliche Partner auch in Punkto Humorfreiheit gleichen, sehe ich schwarz und würde einem Paar, das different, aber humorbegabt ist, die besseren Aussichten zuschreiben.
Kaum hat Don Pasquale seine Unterschrift unter den Ehevertrag gesetzt, macht ihm die angeblich so schüchterne Ehefrau das Leben zur Hölle: neue Möbel sollen her, anderes Personal, und Norina/Sofronia kündigt an, künftig ein selbstbestimmtes Leben führen zu wollen. Was geschieht mit Menschen, wenn sie erkennen, dass Wunsch und Realität auseinanderklaffen?
Natürlich ist das in der Oper überzeichnet. Aber auch heute lassen sich heftige Veränderungen im Verhalten nach dem Gang zum Traualtar beobachten. Bisher haben sich die Beteiligten Mühe gegeben, einen guten Eindruck zu machen. Jetzt lässt das nach, man hat einander ja «sicher». Es gibt da krasse Fälle, wie den Künstler, der sich bisher mit Jobs durchgeschlagen hat und nach der Trauung seiner gut verdienenden Frau erklärt, er werde sich jetzt ganz seiner (brotlosen) Kunst widmen, sie sei ja verpflichtet, ihn zu unterhalten. Das trifft, durchaus analog zur Oper, vorwiegend Paare, die Tage oder Wochen verlobt sind und sich nicht einige Jahre Zeit geben. Auch interkulturelle Ehen bieten oft dramatische Beispiele für Krisen unmittelbar nach der Hochzeit. Plötzlich mischen sich die Angehörigen in einer während der frühen, verliebten Zweisamkeit undenkbaren Weise ein. Religiöse Differenzen, die bisher ignoriert wurden, werden während einer Schwangerschaft virulent: Soll das Kind getauft werden? Soll es beschnitten werden, falls ein Sohn geboren wird? Theoretisch wäre es gut, diese Fragen zu klären, so lange man noch den Ausweg hat, lieber nicht zu heiraten. Deshalb finde ich auch Eheverträge im Prinzip nicht lieblos, sondern fürsorglich.
Wolfgang Schmidbauer, Dr. phil., Diplom-Psychologe und Psychoanalytiker, arbeitet als Autor, Lehranalytiker und Paartherapeut in München. Seit zehn Jahren verfasst er wöchentlich für das ZEIT-Magazin eine Kolumne «Die grossen Fragen der Liebe». Sein jüngstes Buch erschien 2018 im Klett-Verlag: «Die Geheimnisse der Kränkbarkeit und das Rätsel des Narzissmus».
Die Fragen stellte Kathrin Brunner.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 74, November 2019.
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