Wozzeck
Oper in drei Akten (15 Szenen) von Alban Berg (1885-1935)
nach Georg Büchners «Woyzeck»
In deutscher Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 1 Std. 25 Min. Keine Pause. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Vergangene Termine
September 2015
Oktober 2015
Gut zu wissen
Wozzeck
Kurzgefasst
Wozzeck
Irrlichternd hetzt der Soldat Wozzeck durch eine Welt, die er nicht zu enträtseln vermag. Vom Doktor wird er mit absurden medizinischen Experimenten gequält, vom Hauptmann gedemütigt und verhöhnt. Und seine Geliebte Marie, mit der er ein Kind hat, betrügt ihn mit dem Tambourmajor. Wozzeck wird zum Mörder und ersticht Marie.
Georg Büchners Dramenfragment, das Alban Berg als Vorlage für seine erste Oper nahm, ist eine erbarmungslose Fallstudie über soziales Unrecht und menschliches Leid. Aber es ist auch eine Groteske, die von der Überzeichnung lebt; das Abgründige und das Lächerliche liegen ganz nahe beieinander. In diesem Panoptikum erscheinen die Figuren wie Marionetten, die letztendlich alle durch dieselbe existentielle Angst zum Zappeln gebracht werden. Alban Bergs Wozzeck, 1925 uraufgeführt und rund hundert Jahre nach Georg Büchners Drama entstanden, gehört zu den Gipfelwerken der Operngeschichte. Bergs expressionistischer Tonfall ist formal genial gefasst. Seine Partitur, so schrieb der Musikwissenschaftler Alfred Einstein, gleiche einem Nervenbündel: «Man meint zuerst, es seien nur wirre Drähte, aber es ist ein lebendiger Organismus. Die Vorgänge sind traumhaft; sie sind verzerrt wie in einem wüsten Traum. Auch alles Volksliedhafte ist verzerrt, selbst das Geräusch wird Ausdruck, und der Naturalismus wird Stil.»
Bergs Wozzeck darf im Repertoire keines Opernhauses fehlen. In Zürich nehmen sich Regisseur Andreas Homoki und Generalmusikdirektor Fabio Luisi der Jahrhundertoper an. Der charismatische deutsche Bariton Christian Gerhaher gibt sein Rollendebüt als Wozzeck.
Gespräch
Herr Homoki, Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich mit dem Wozzeck einen langgehegten Wunsch erfüllen. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt da? Anders gefragt: Warum haben Sie so lange damit gewartet?
Zunächst einmal kann man sich selbst als Intendant die Stücke nicht so einfach aussuchen. Ich hatte allerdings tatsächlich lange das Gefühl, mit diesem Stück noch warten zu können. Es mag paradox klingen, aber es ist einfach zu perfekt gebaut – in jeder Hinsicht. Gewissermassen «unzerstörbar», sodass es auch in einer weniger gelungenen Inszenierung immer eine ungeheure Wirkung entfalten wird. Umgekehrt bedeutet dies, dass ich mich als Regisseur besonders anstrengen muss, um diesem Meilenstein der Operngeschichte halbwegs auf Augenhöhe begegnen zu können und das Potenzial dieses Stückes wirklich auszuloten. Hoffentlich ist jetzt die Zeit reif dafür – jedenfalls habe ich hier in Zürich eine fantastische Sängerbesetzung.
Alban Bergs Wozzeck ist eine der wenigen Opern des 20. Jahrhunderts, die sich einen festen Platz im Opernrepertoire erobern konnten und auch beim Publikum auf grosse Akzeptanz stösst. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Das liegt an der grandiosen Theatralik Büchners und der Musik von Alban Berg, die trotz ihrer atonalen Komplexität in jedem Moment sehr gestisch und emotional ist. Sie zieht den Zuhörer unmittelbar in ihren Bann, ohne dass dieser etwas über ihre komplizierte Struktur wissen muss. Es ist Theatermusik im besten Sinne – was übrigens auch Arnold Schönberg lobend hervorhob, nachdem er Berg anfangs von diesem Stoff abgeraten hatte, da er ihn für Opernuntauglich hielt. Ein grandioses Fehlurteil, denn man hat sogar das Gefühl, dass erst durch Bergs geniale Vertonung das Potenzial von Büchners Fragment voll ausgeschöpft wird und der Stoff zu einer Expressivität gelangt, die er als reiner Sprechtext nie entfalten könnte. Nehmen wir nur das verrückte Panoptikum von Figuren wie dem Hauptmann, dem Doktor oder dem Tambourmajor. Allesamt pervertierte Prototypen, Karikaturen des damaligen Establishments, die durch Bergs radikalen Zugriff eine grosse Plastizität erhalten. Bei allem Schrecken, den dieses Stück entfaltet, ist Wozzeck gerade durch Bergs musikalische Sprache und ihren grotesken Humor sehr unterhaltsam.
Dass ein Stück wie Wozzeck auch humorvoll sein könnte, liegt nicht unbedingt auf der Hand. Die Oper gilt häufig als deprimierend und erschreckend realistisch. Ein Werk, in dem man das schmerzhafte Zucken jedes einzelnen, gequälten Körpernervs wie durch ein Vergrösserungsglas sieht.
Man liest tatsächlich oft, dass Büchner seinen Woyzeck aus einem «realistischen» Anspruch heraus geschrieben hat. Dafür spricht scheinbar, dass er einen zeitgenössischen Proletarier ins Zentrum seines Dramas gestellt hat – etwas damals unerhört Mutiges. Dann ist da die Sprache der einfachen Leute, die er versucht hat, möglichst direkt abzubilden. Mit diesem Mut zum «Hässlichen» war er aber seiner Zeit weit voraus, er weist in den Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts. Bergs Musik greift genau das auf und scheut auch vor der Groteske nicht zurück. Ich würde behaupten, dass Büchners «realistische» Figuren auf den zeitgenössischen Leser ähnlich grell gewirkt hätten, wie es Alban Bergs expressionistische Umsetzung auf uns heute tut. Die Situationen sind musikalisch extrem und oft bis ins Fratzenhafte verzerrt gezeichnet. Denken Sie nur an die Wirtshausszene mit dem Jägerchor – das hat gar keine Melodie mehr, sondern klingt wie ein Cluster, die völlige Pervertierung eines Volkslieds. Hinzu kommt die ungeheure Verdichtung, die Berg gegenüber der Büchnerschen Vorlage vornimmt. In 15 teilweise extrem kurzen Szenen überschlagen sich die Ereignisse geradezu und führen zielstrebig in die Katastrophe. Eine naturalistische Darstellungsweise im Sinne etwa eines Stanislawski-Theaters kam für uns bei dieser Oper daher von vorneherein nicht in Frage.
Sie haben sich stattdessen entschieden, die Geschichte in einem Raum zu erzählen, in welchem die Darsteller wie Puppen agieren. Warum?
Wozzeck ist ein Gefangener der Umstände, die ihn umgeben und bestimmen. Er schläft kaum und hetzt sich ab, um das Allernotwendigste zusammenzukratzen, setzt sich gar medizinischen Versuchen aus. «Nichts als Arbeit unter der Sonne, sogar Schweiss im Schlaf. Wir arme Leut’!» Wenn Büchner den Doktor pathetisch verkünden lässt, im Menschen verkläre sich «die Individualität zur Freiheit», so beweist das Stück in jeder Sekunde das komplette Gegenteil. Niemand ist hier frei, alle verhalten sich wie unter Zwang. Selbst die Ausbeuter sind Getriebene und Opfer: der Hauptmann mit seinem Tugendwahn und seiner Angst vor der Ewigkeit oder der Doktor mit seinem Wissenschaftsspleen und grössenwahnsinnigen Vorstellungen vom eigenen Ruhm. Einen Ausweg gibt es nicht. Ein Theater, das seine Figuren wie Puppen agieren lässt, schafft eine eingängige Metapher für eine Welt, in der wir alle nichts als kleine Räder eines grossen Getriebes sind. Gerade wir heutige Menschen fühlen uns doch oft allzu sicher in einer Welt, von der wir meinen, sie weitgehend erforscht zu haben. Aber ich bin überzeugt: trotz allen wissenschaftlichen Fortschritts wird unser Horizont immer begrenzt bleiben, und wir werden nie gänzlich wissen, wie die Welt, der Kosmos, wirklich beschaffen ist. Wie Puppen, die nicht wissen, von wem genau sie gespielt werden.
Das erinnert an einen Satz aus dem sogenannten Fatalismus-Brief von Büchner an seine Braut Wilhelmine Jaeglé. Der Revolutionär Büchner fühlt sich von der Schicksalsergebenheit wie vernichtet. Er schreibt, dass «der Einzelne nur Schaum auf der Welle» sei...
Diese Welt des Wozzeck ohne jede individuelle Freiheit war für meinen Ausstatter Michael Levine und mich von Anfang an nur in der Überhöhung als Groteske darstellbar. Beispielsweise, indem man die Geschichte als ein böses Spiel erzählt, eben als albtraumhaftes Puppentheater. Weil die Realität so hoffnungslos ist, dass jeder Versuch, sie auf die Opernbühne zu bringen, obszön wirken muss. Man spürt hier die grosse Geistesverwandtschaft Büchners zum Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz, dem er mit seiner Novelle Lenz ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Dessen Hauptwerk, Die Soldaten, hat auch auf die Entstehung des Woyzeck grossen Einfluss ausgeübt. Für Lenz besteht das Wesen der Komödie darin, dass die Figuren nicht mehr – wie in der Tragödie – selbständig agieren, sondern einer grausamen Maschinerie ausgesetzt sind, die sie zu blossen Objekten degradiert. Das Grauen hinter dem fratzenhaften Lachen einer Maske zu verstecken, ist ein literarisches Prinzip, dem wir bis heute immer wieder begegnen, denken Sie nur an die Dramen von Peter Weiss oder die Figur des Joker in Batman.
Laut Alban Berg geht die Idee der Oper «weit über das Einzelschicksal Wozzecks hinaus». Was ist mit dieser übergeordneten Idee Ihrer Meinung nach genau gemeint? Und inwieweit wird sie durch den Weg über das Puppentheater deutlich?
Auch wenn wir auf der Bühne extreme Figuren zeigen, bleiben es selbstverständlich immer Abbilder von menschlichen Phänotypen und Verhaltensweisen, die jeder kennt und für sich übersetzen kann. Ohne eine starke theatralische Verfremdung hätte ich grosse Sorge, in eine Art politisches Betroffenheitstheater abzurutschen, bei dem sich sowohl Publikum als auch Künstler gegenseitig einlullen im wohligen Gefühl einer gemeinsamen Verurteilung der dargestellten Missstände. So etwas hat mit lebendiger Auseinandersetzung nichts mehr zu tun, zumal die kritisierten sozialen Verhältnisse der Büchner-Zeit bei uns mittlerweile ohnehin überwunden sind. Die Frage nach einer gerechteren Welt kann heute nur noch im globalen Massstab betrachtet werden, dies erleben wir in Europa heute angesichts der dramatisch zunehmenden Flüchtlingsströme mit jedem Tag deutlicher. Die Idee dieser Oper geht tatsächlich weit über das Einzelschicksal Wozzecks hinaus. Sie ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Menschenwürde, ein Appell an die Menschlichkeit. Dieser Appell kulminiert im erschütternden letzten Zwischenspiel der Oper, bei dem jeder Versuch der Bebilderung scheitern muss. Deshalb wird an dieser Stelle auch bei uns nur die Musik sprechen.
Das Gespräch führte Kathrin Brunner.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 31, September 2015.
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Christian Gerhaher singt Wozzeck
Christian Gerhaher im Interview mit Club Jung-Mitglied Leandra Nitzsche über die Bedeutung von Alban Bergs Oper «Wozzeck».
Meine Rolle
Wozzeck ist in jeder Hinsicht eine unterprivilegierte Figur. Er ist materiell, und was seine Bildung angeht, unterlegen, sogar sexuell, denn er kann seiner Frau nicht bieten, was sie offensichtlich braucht. Dass er ein Underdog ist, berührt mich doch sehr. Im Grunde besteht ja das gesamte Personal des Stücks nur aus Underdogs. Der Herrscher über die Verhältnisse taucht nicht auf. Alle sind Getriebene, die treibende Kraft bleibt anonym.
Vieles weist bei Wozzeck in Richtung einer psychischen Erkrankung. Seine Wahnvorstellungen etwa, alles sei hohl, alles schwanke. Es gibt Dinge, die nur er hört und sieht. In der Studierstube des Doktors wird Wozzeck gescholten, dass er an die Wand gepisst hat, er wird ermahnt, seine Bohnen zu essen. Irgendwann bricht es aus Wozzeck heraus, mit Worten, die nicht die seinen sind und die ihm selbst rätselhaft bleiben, weil auch das, was in ihm vorgeht, rätselhaft für ihn ist. «Sehen Sie Herr Doktor, manchmal hat man so ’nen Charakter... so ’ne Struktur... mit der Natur...» Es sind Worte, die nicht zu seinem Verständnishorizont gehören. Er redet, weil sich durch bedrängende Erlebnisse ein enormer Leidensdruck in ihm aufgebaut hat. Das ist typisch für seelisch Leidende. Sie wollen etwas loswerden, sie müssen äussern, was sie in diesem ungemein vielfältigen Erleben bedrängt und beschäftigt. Wozzeck schreibt Wahrnehmungen einen Sinn zu, den andere nicht nachvollziehen können. Er weist auf die «Schwämme» hin, «Linienkreise, Figuren, wer das lesen könnte.» Diese Tragik, etwas stark zu erleben, es aber nicht angemessen äussern zu können, habe ich im Rahmen meines Medizinstudiums oft mitbekommen. Für den Kranken hat solches Erleben eine unglaubliche Bedeutung, aber von der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist es ausgeschlossen. Bei Büchner und Alban Berg aber wird plötzlich eine solche Persönlichkeitsstruktur und das dazugehörige Leiden zum Thema. Für mich bleibt offen, ob das, was Wozzeck visioniert, wirklich interessant ist. Wozzecks Wahnwelt ist solipsistisch. Andreas Homoki trägt dem in seiner Inszenierung in starkem Masse Rechnung. Er zeigt die Szenen aus der Sicht der Titelfigur, in surrealer Verzerrung und karikaturistischer Überzeichnung.
Im Verlaufe des Stücks durchläuft Wozzeck eine Entwicklung. Am Anfang ist er hilflos und desorientiert. Der Hauptmann fährt ihn an: «Red’ Er doch was!» Wir kennen das doch alle: Wenn man einen Schweigenden anschreit, er soll endlich etwas sagen, dann sagt der erst recht nichts. Der gesamte erste Akt handelt von der maximalen Verunsicherung Wozzecks. In der Hauptmannszene, mit Andres auf dem Feld, dann in der Begegnung mit seiner Frau und dann der Doktor mit seinen unsterblichen Experimenten. Jede Szene exponiert eine existenzielle Unsicherheit Wozzecks. Im zweiten Akt entwickelt Wozzeck dann ein Selbstbewusstsein ex negativo, und das geht in Richtung Hass. Diese Entwicklung nimmt immer mehr Fahrt auf. Die Wut wächst. Und er erfährt diese zunehmend als das, was seine Person ausmacht, weil er sich in ihr zum ersten Mal als nicht mehr fremdgesteuert wahrnimmt. Er wird dann im dritten Akt tatsächlich zu dem «offenen Rasiermesser», als das ihn der Hauptmann bezeichnet hat. Gleichzeitig nimmt sein Gehetztsein ab. Er ermordet Marie bewusst und planvoll. Das empfinde ich als Wozzecks Tragik: Er mordet als Akt der Selbst-Bewusstwerdung, welche ihm sonst versagt blieb.
Text von Christian Gerhaher.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 75, Januar 2020.
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Pressestimmen
«Homoki hat sich hier in Sachen Personenregie selbst übertroffen.»
Tages-Anzeiger vom 15. September 2015«- und aus der Kehle einer Zuschauerin, einer Vertreterin besten Schweizer Bürgertums, dringt ein Laut, irgendetwas zwischen "Boah" oder "Wow", jedenfalls ein Laut der fassungslosen Bewunderung, der ganz tief aus dem Körper kommt.»
Süddeutsche Zeitung vom 15. September 2015«In aller Kürze: diese Oper darf man nicht verpassen!!»
Bachtrack vom 14. September 2015«Grossartige Bilder sind das, die das Premierenpublikum begeisterten.»
SRF-Regionaljournal vom 14. September 2015
Essay
Der Blitz, der vom Himmel fährt
Kürzlich hörte ich in einem schwäbischen Dorf, wie ein Bauer einen abwesenden Bekannten verfluchte. Der Bauer sass im Wirtshaus und sprach: Den soll der Blitz beim Scheissen treffen! Man merkte, dass ihm die Sache ernst war. Der Bauer bebte vor Zorn, er hätte es wirklich gewollt: Dem Feind sollte nicht nur das Leben genommen werden, er sollte im Moment, da es geschähe, auch nackt, schmutzig, arglos und allein sein. Ich, am Nebentisch, stellte mir den Moment vor – der Blitz fährt nieder, zwei Häufchen bleiben übrig, eins von Asche und eins von Kot – und musste lachen. Der Verfluchte war wohl der Bürgermeister des Dorfes. Aber dann fiel mir ein anderer grosser Gewitterspruch ein, Büchners Woyzeck hat ihn geprägt. Und ich hörte auf zu lachen.
Woyzeck, der elende, von der Wissenschaft missbrauchte, von Stimmen verfolgte, von seiner Geliebten betrogene Soldat, sagt zum Hauptmann: «Wir arme Leut… Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen.»
Büchners Sprache hat eine Wut, die dem Fluch des grimmigen Schwaben ebenbürtig ist. Sein Blitz, sein Blick ist so scharf, dass jeder, den er streift, vulgär gesagt, beim Scheissen getroffen wird – erfasst in der erbärmlichen Mitte des Lebens, im Moment der Einsamkeit, der Notdurft und der Erwartung.
Die Wirkung von Büchners Sätzen ist wie eine Entwurzelung, aber nicht mit dem Ziel der Vernichtung, sondern der Befreiung: Das muss alles neu gedacht werden. Er will das Leben gar nicht verneinen, sondern er stellt in Frage, dass es überhaupt schon begonnen hat. Danton sagt zu Camille: «Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns freilich etwas, ich habe keinen Namen dafür, aber wir werden es uns einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns darum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten.»
Immer wieder vergleicht Büchner den Menschen mit einem Mechanismus, einer Puppe, einem von aussen geführten Ding, in das man hineinsehen kann, ohne zu wissen, warum es funktioniert. «Jeder hat eine feine, feine Feder von Rubin unter dem Nagel der kleinen Zehe am rechten Fuss, man drückt ein klein wenig, und die Mechanik läuft volle fünfzig Jahre» – so heisst es in Leonce und Lena.
Seine Stücke sind Horrortragödien des Erkennens: Je mehr einer von der Welt begreift, desto unwirtlicher wird sie ihm: leer das Getriebe, hohl jeder Mittänzer. Je mehr er durchschaut, desto weniger Möglichkeiten zur Flucht hat er. Viele Büchner-Sätze wirken, als sei ihr Autor von Untoten umgeben, unsicher, ob er nicht selbst einer ist. In Leonce und Lena unterhält er sich glänzend mit seiner eigenen Verzweiflung, und seine tiefe Traurigkeit erzeugt dort, wo sie an die Oberfläche kommt, einen unbändigen Springbrunnen an Einfällen. Aber wenn es in dieser Komödie heisst, das Volk möge sich im Quadrat aufstellen, um zahlreicher zu erscheinen, so weiss man, wie Büchner es meint: Das Volk lebt gar nicht, es sind lauter Gespenster. Auch die Szene aus dem Woyzeck, in welcher ein «Erster Handwerksbursche» aus sich herausgeht, um seine Meinung über die Welt kundzutun, ist im Grunde schauderhaft: «Jedoch, wenn ein Wanderer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit, oder aber sich die göttliche Weisheit vergegenwärtigt und fraget: Warum ist der Mensch? (mit Pathos) Aber wahrlich, geliebte Zuhörer, ich sage Euch: (verzückt) Es ist gut so! Denn von was hätten der Landmann, der Fassbinder, der Schneider, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte? Von was hätte der Schneider leben sollen, wenn Er nicht dem Menschen die Empfindung der Schamhaftigkeit eingepflanzt hätte? Von was der Soldat und der Wirt, wenn Er ihn nicht mit dem Bedürfnis des Totschiessens und der Feuchtigkeit ausgerüstet hätte?»
Und wovon, kann man heute fragen, sollten die beiden Spezialisten der Gegenwart, der Controller und der Motivationstrainer, bloss leben, wenn uns Gott nicht die Gier und die Angst vor dem Abstieg eingepflanzt hätte?
Gott hat die Berufe geschaffen, um sich an der Einfalt der Spezialisten zu erfreuen. Wer einen Beruf hat, ist kein lebender Mensch, sondern bloss ein Schneider oder ein Soldat oder ein Wirt. In Leonce und Lena wird derselbe Gedanke noch spasshafter gefasst. Dort sagt der Prinz: «Denn wer arbeitet, ist ein subtiler Selbstmörder, und ein Selbstmörder ist ein Verbrecher, und ein Verbrecher ist ein Schuft, also, wer arbeitet ist ein Schuft.» Es ist von Büchner gar nicht so weit zum Horror in der amerikanischen TV-Serie Walking Dead (Die wandelnden Toten). Wo er hinblickt, zerfällt die Welt – in Abgründe, Spezialbegabungen, Konkurrenz, Betriebsdummheit. Auch in den Spiegel kann er nicht mehr schauen, weil der Mann darin eine Marionette mit einer Maske vor dem hohlen Kopf ist. Anders als die Untoten in den amerikanischen Serien sind die Gestalten Büchners aber Wesen, die ihr Leben nicht hinter, sondern möglicherweise noch vor sich haben – das ist der Glutpunkt der Hoffnung in seinem Werk. Haben wir noch gar nicht angefangen?
Das arme Kind
Sartre hat gesagt, es liege ein Trost gerade in den dunkelsten, trostlosesten Texten. Dass das Schlimmste ausgesprochen werde, lasse darauf hoffen, dass es auch zu überwinden sei. Lesen wir daraufhin die allerdunkelste Stelle im Woyzeck, den Moment, da die Grossmutter den Kindern, den «kleinen Krabben», ein Märchen erzählt: «Es war einmal ein arm’ Kind und hatt’ kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und wie es zur Sonn kam, war’s ein verwelkt Sonneblum. Und wie’s zu den Sternen kam, waren’s kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie’s wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich’s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.»
Man sieht es vor sich, das blindgeweinte Kind, sein runder Kopf ragt ins leere All, und man fragt sich: Was kann nach diesem Märchen noch erzählt werden? Was hätte der Autor, der nur 23 Jahre alt wurde, erst als 30 oder 40Jähriger geschrieben? Dieses Märchen ist wie ein Erwartungs-Endpunkt, und die einzige Hoffnung, die ein Kind, welches es hört, und wenn wir es hören, werden wir alle zu Kindern, aus ihm schöpfen könnte, wäre die: Ich werde so hart, so kalt werden, dass ich auf Zuversicht verzichten kann; das Nichts wird mir nichts ausmachen. Mich verschlingt es nicht. Ich mache einfach weiter.
Und so kam es auch. Man hätte nicht gedacht, dass man noch tiefer in die Hoffnungslosigkeit würde hinuntergraben können, als Büchner es tat, aber Friedrich Dürrenmatt hat es geschafft. Mehr als hundert Jahre nach dem Woyzeck schrieb er eine ganz kurze Erzählung namens Weihnacht. Dürrenmatts Erzähler ist der Kälte des Universumsgewachsen – er setzt ihr seine eigene entgegen. Er frisst sozusagen die Kulissen des kosmischen Theaters, hinter denen nichts ist; er ernährt sich von ihnen. Er ist ein Parasit, ein Aasfresser geworden. Als der Erzähler dem Christuskind begegnet, liegt es tot im Schnee: «Ich öffnete seine Lider. Es hatte keine Augen. Ich hatte Hunger. Ich ass den Heiligenschein. Er schmeckte wie altes Brot. Ich biss ihm den Kopf ab.» Wieder sechzig Jahre später: Es schmeckt uns allen, auch ohne dass wir wüssten, warum. Man braucht zum Existieren keinen Lebenssinn. Auf einer grossen Hamburger Strasse sah ich den Lieferwagen eines CateringUnternehmens vorbeifahren. Auf der Seite stand: «Wenn wir schon leben müssen, dann wenigstens im Luxus.»
Drei Szenen
Erstes Weib: «Ein hübscher Mann, der Hérault!» Zweites Weib: «Wie er beim Konstitutionsfest so am Triumphbogen stand, da dachte ich so, der muss sich gut auf der Guillotine ausnehmen, dachte ich. Das war so ’ne Ahnung.» Drittes Weib: «Ja, man muss die Leute in allen Verhältnissen sehen: es ist recht gut, dass das Sterben so öffentlich wird.»
Was prägt diese grimmige Stelle aus Dantons Tod? Am ehesten wohl die Abwesenheit von Mitgefühl, heute – Emphase. Und man stellt sich vor: Dieses Gespräch findet jetzt unter den Hasskommentatoren im Netz oder unter einer Freundesmeute bei Facebook statt, beim Gespräch über die Todesarten, die man einem Kinderschänder, einem korrupten Fussballschiedsrichter, einem verhassten Mitschüler wünscht. Büchner hört das alles nicht mit Häme, eher mit Staunen; und er hat auch nicht die Beflissenheit eines Pädagogen, der glaubt, er müsse uns ein Verhalten nur zeigen, um es abzustellen. Welche Moral spricht aus seinen Texten? Keine, allenfalls die der Genauigkeit. Volker Braun hat in seiner Dankesrede zur Verleihung des Büchnerpreises gesagt: «Es ist die Schärfe seiner Fragen, die Georg Büchner von uns allen trennt: und das entschlossene Zögern mit Antworten.»
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«Dieweil der Tag lang und die Welt alt ist, können viel Menschen an einem Platz stehen, einer nach dem andern.» Was ist das? Der Befund eines Menschen, der einen Mittelmeerstrand betrachtet, an dem nachts die syrischen Flüchtlinge landen und am Nachmittag die nordeuropäischen Touristen liegen? Der Satz eines Unsterblichen, der 400 Jahre lang auf denselben Platz gestarrt hat? Nein, es ist nur Marie im Woyzeck. Büchner richtet diesen Jahrhundertblick aus dem Kopf jeder Gestalt auf jeden Erdenfleck. Die Verwandlung des Erdenflecks ins Niegesehene, Niedagewesene ist hier jedem gegeben, der eine Stimme hat – auch wenn ihn die Verwandlung nicht retten wird. Eineinhalb Jahrhunderte später, in Samuel Becketts Fernsehspielen Quadrat I und II, eilen stumme, von Furien gehetzte Kuttenträger über eine quadratische Bühne, im strengen Zickzack, sie sinken immer tiefer ein in die Bühne, einer nach dem anderen, und während sie das tun, wird der Tag lang und die Welt alt. Beckett hat gesagt, während seines Spiels vergingen zehntausend Jahre. Den Satz zu diesem Spiel hat Büchners Marie gesagt.
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«Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir sind sehr einsam», sagt Danton. Und: «Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.» Kürzlich habe ich, im Fernsehen, diese Szene in einer modernen Paraphrase gesehen. In einer Folge von Dr. House sagt eine Frau zu ihrem Geliebten: «Wie schade, dass du keinen Blog schreibst. So werde ich nie erfahren, was Du denkst.»
Der Blitz, der zum Himmel auffährt
Büchner glaubt nicht an den Gott, der Blitze senden könnte, an den alttestamentarischen Strafmeister. Aber an den zu strafenden Gott, der seine Pflichten nicht wahrnimmt, der nicht hilft, nicht rettet, nicht auffängt, an den glaubt er wohl. Nach ihm durchsucht er das leere Universum. Man könnte sagen, das Werk Büchners ist ein grosser Weltdurchsuchungsbefehl: Wo ist ER? Manche Passagen seines Werkes sind so grossartig, dass man glaubt, er habe ihn doch gefunden: So will er, im Lenz, Gott zwischen seinen Wolken schleifen, im Zorn über den Tod eines armen Kindes, und mit Dantons Stimme erklärt er, es gehe ein Riss durchs Universum, wenn nur ein Wesen Schmerz empfinde. Man könnte sagen, Büchner schickt den Wunsch-Blitz, den der grimmige Schwabe vom Beginn dieses Textes aus dem Himmel fahren lässt, kraft seines Geistes zurück, nach oben: Er will Gott durch seine Schöpfung jagen, er will ihn aus seinen Wolken fegen.
Fast 140 Jahre, so scheint es, hat Gott sich Zeit gelassen, ehe er Büchner endlich Antwort gab. Im Jahr 1972 erschien ein Song des Amerikaners Randy Newman, und dieses Meisterwerk, God’s Song, muss Newman von Büchners Gott in die Feder diktiert worden sein. ER ist es selbst, der hierin das Wort an uns richtet, und siehe, der Schöpfer ist ein unrührbarer, kalter Herr, dem die Menschheit weniger bedeutet als eine Kaktusblüte, und der über die Gebete lacht, welche die Menschen an ihn richten: «How we laugh up here in heaven at the prayers you offer me …»
Wie wir hier oben über euch lachen müssen! Warum «wir»? Natürlich könnte es der Pluralis Majestatis sein, den Gott hier verwendet. Aber vielleicht meint Newmans Gott auch die Gefolgschaft der Elenden, mit denen er sich im Himmel umgibt.
«Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen.» Ich stelle mir Woyzeck als einen niederen Geräuschemacher vor, einen jener tauben Blechdosenglöckner, die im Himmel für die verheerendsten Schläge zuständig sind. Denn selbst wenn es keine Götter mehr geben sollte, so muss es, das hat Büchner uns gelehrt, Donnerhelfer ohne Zahl dort oben geben. Fünf Siebtel der Weltbevölkerung sind arm, zwei Siebtel reich; fünf Siebtel werden den Donner erzeugen, den sich die Übrigen gelassen anhören werden. Wenn es donnert, muss ich an Woyzeck denken.
Ein Text von Peter Kümmel.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 31, September 2015.
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Gespräch
Herr Gerhaher, Sie debütieren als Wozzeck. Wie lange tragen Sie den Gedanken, den Wozzeck zu singen, schon mit sich herum?
Ich habe eher den Gedanken mit mir herumgetragen, ihn nicht zu singen, weil ich mir es nicht zugetraut habe. Aber dann hat mir das Opernhaus Zürich es zugetraut und mich für die Rolle angefragt. Und ich dachte: Das passt.
Sind sie vorher schon lange um das Stück herumgeschlichen?
Ja, schon, mit grossem Respekt, weil der Wozzeck sehr anspruchsvoll ist. Die Partie ist für kein Stimmfach ideal. Sie ist nicht durchgängig für einen Heldenbariton angelegt, nicht für einen Charakterbariton und nicht für einen lyrischen Bariton. Jeder, der sich mit dieser Rolle befasst, kommt an seine Grenzen und muss nach Lösungen suchen, die zu seinen stimmlichen Möglichkeiten passen, sodass die Vielfalt dessen, was man an Rollenverkörperungen bei Wozzeck hören kann, sehr gross ist. Ich habe mir dann gedacht: Gut, dann probiere ich das halt mal für mich aus.
Wo kommen Sie an Grenzen?
Manches ist sehr laut. Das ist für mich als lyrischer Bariton eher eine Grenze als für andere. Manches ist dann sehr leise und lyrisch, das ist für Heldenbaritone schwer. Zum Teil liegt es auch sehr tief. Und ein schwer lösbares Problem sind die deklamierten Passagen.
Sie meinen den Sprechgesang des Melodrams, den Berg zur Ausdruckssteigerung einsetzt, und der nur in angedeuteten Tonhöhen notiert ist.
Es gibt Untersuchungen, dass angeblich über sechzig verschiedene Notationsarten in der Wozzeck-Partitur vorkommen. Ich finde es ein bisschen affig, das zu zählen, aber klar ist: Die Differenzierung ist extrem. Man kann daran erkennen, wie weit Alban Bergs Fantasie ging. Und er war noch nicht ganz sicher in der Konkretisierung von dem, was er wollte. Die später entstandene Lulu ist klarer notiert.
Das heisst, eine Balance zwischen gesprochenem und gesungenem Ausdruck muss jeder Wozzeck-Darsteller für sich selbst finden?
Berg selbst hat bei der zweiten Aufführungsserie der Oper in Prag mehr für eine gesangliche Interpretation plädiert.
Dieser Richtung wollen Sie folgen?
Mir ist es schon ein Anliegen, bei den in Richtung Sprechen notierten Stellen die Tonhöhen sehr ernst zu nehmen und davon ausgehend den Ausdruck ins expressiv Gesprochene zu variieren. Auch die in der Notation nur angedeuteten Tonhöhen sind von Berg wirklich melodisch komponiert, da sitzt jeder Ton an der genau richtigen Stelle, so ist zumindest meine Empfindung. Es ist nur die Frage, ob man auch alles genau trifft. Mein Ehrgeiz ist es jeden falls, die Tonhöhen präzise zu singen, und wahrscheinlich ist das nicht nur mein Ehrgeiz (lacht). Das mag jetzt ein bisschen kurios klingen, weil richtige Töne zu singen ja eine Selbstverständlichkeit ist. Aber wenn Sie die Diskografie von Wozzeck durchhören, stellen Sie fest: Das ist bei dieser Partie bis heute eine grosse Herausforderung. Ich meine das überhaupt nicht herablassend, mir wird auch vieles nicht perfekt gelingen.
Gerät die Partie, wie Sie sie beschreiben, weicher und lyrischer statt expressiv? Wird sie zu schön?
Diese Gefahr sehe ich nicht, obwohl es bei mir schon in diese Richtung geht, da ich nun mal ein lyrischer Bariton bin. Aber expressive Ausbrüche sind dadurch ja nicht ausgeschlossen. Trotzdem ist die Interpretation offen. Immerhin gibt es von Berg die Äusserung, alles solle so schön wie möglich gesungen sein, wie allgemeingültig man sie auch immer interpretieren mag.
Bergs Wozzeck gilt als das grosse Opern-Meisterwerk des 20. Jahrhunderts. Alles ist hier auf den Punkt gebracht: die atonale Tonsprache, die Form, die Theatralik, der expressionistische Ausdruck. Hat das Werk auf Sie eine einschüchternde Wirkung?
Nicht, weil ich die Komplexität durchschaut hätte und deshalb aus dem Staunen nicht mehr heraus komme. Ich kapiere das ja alles gar nicht.
Sie übertreiben.
Im Ernst. Das ist kein fishing for compliments. Ich durchschaue es nicht. Wenn ich mir beispielsweise die vierte Szene des ersten Aktes genau angucke – das ist die Szene, die in der Studierstube des Doktors spielt und die Berg als Passacaglia mit 21 Variationen auskomponiert hat – und lese in der Partitur unter einer Tonfolge die Eintragung «11. Variation», dann muss ich passen, was die Analyse der Form angeht.
Aber es ist ja auch nicht Ihre Aufgabe, die Formanalyse beim Singen mitzudenken.
Beim Singen für mich sowieso nicht. Aber beim Studieren möchte man doch gerne wissen: Wie geht das jetzt genau? Und da beginnt die Überforderung. Ich trage nur meinen überschaubaren Teil zur Aufführung bei und fertig. Mit mehr kann ich nicht dienen. Trotzdem habe ich vielleicht immerhin eine Ahnung davon, wie tiefgründig das Werk ist, wieviele Reflexions und Kommentarebenen es beinhaltet.
Ist es für die Wozzeck-Partie von Vorteil, dass Sie ein erfahrener Liedsänger sind? Hilft es, wenn man im Liedschaffen von Schumann und Schubert zu Hause ist?
Man braucht diese Erfahrung nicht unbedingt, aber ich nutze sie. Ich kann ja auch gar nicht aus meiner Haut.
Büchners genial verdichtete Sprache fordert doch einen reflektierten Umgang mit dem Wort geradezu heraus.
Schon. Aber das kann auch zum Problem werden, denn Wozzeck ist ja in jeder Hinsicht eine unterprivilegierte Figur. Er ist materiell, und was seine Bildung angeht, unterlegen, sogar sexuell, denn er kann seiner Frau nicht bieten, was sie offensichtlich braucht. Dementsprechend sind auch seine sprachlichen Möglichkeiten zurückgeblieben. Das wird besonders deutlich in der Doktorszene, wenn er seine Wahnwelt beschreiben will.
Sie müssen als intellektuell versierter Liedkünstler also einen Minderbemittelten geben. Wie geht das?
Das Problem hat Andreas Homoki gleich in der ersten Probe benannt. Er meinte, er sei von den Farben meiner Wozzeck-Darstellung beeindruckt, aber es wirke alles ein bisschen zu bewusst auf der Bühne. Das Anti-Eloquente, Eckige und Grobmotorische an der Figur müsse deutlicher werden. Er hat das natürlich sehr fein formuliert. Aber das ist ein Problem, ganz klar.
Und wie wollen Sie es lösen?
Weiss ich noch nicht. Vielleicht muss ich die Farbenvielfalt, die ich mir ausgedacht habe, etwas zurücknehmen und die Szenen einfach mal mehr laufen lassen. Ein berühmter Liedsänger-Kollege hat einmal gesagt: Ich werde mich hüten, dem Publikum mit meiner Interpretation vorzuschreiben, wie es ein Stück aufzufassen hat. Der andere Ansatz ist der von Dietrich Fischer-Dieskau: Bei ihm ist der Präzeptor immer anwesend, oft mit erhobenem Zeigefinger, und liefert die Erklärung, wie etwas zu verstehen sei, gleich mit. Ich selbst liege irgendwo dazwischen. Ich finde schon, dass man als Sänger Texte so färben sollte, dass – vorsichtig gesagt – keine Verwirrung entsteht. Das Publikum sieht sich einem nie ganz fassbaren Kunstwerk gegenüber und hat die Sehnsucht, es erfassen zu wollen. Dieser Sehnsucht kann man als Interpret entgegenkommen. Den Zeigefinger, den wir alle von Fischer-Dieskau geerbt haben, einfach nur unten zu lassen, kann nicht die Lösung sein. Je nüchterner man etwas darstellt, desto mehr läuft man Gefahr, dass sich beim Zuhörer Frustration einstellt. Ein Interpret hat auf der Bühne interpretatorische Aufgaben. Eigentlich ist das ja trivial: Man kann nicht nur die Noten singen. Man ist ein Mensch auf der Bühne. Man ist aber nicht Mensch auf der Bühne, um sein Persönliches und Innerstes nach aussen zu kehren, sondern um menschliches Erleben zu verallgemeinern und Verständlichkeit zu schaffen.
Also läuft Interpretation für Sie am Ende doch immer über intellektuelle Distanz und Reflexion?
Das ist ja so ein Lebensthema für mich: Mit welcher Strategie agiert man als Darsteller auf der Bühne? Man kann da die beiden konträren Grundhaltungen gegenüber stellen – auf der einen Seite das identifikatorische method-acting, wie wir es im amerikanischen Kino in der Tradition von Lee Strasberg erleben, und auf der anderen Seite die technische und überlegt schauspielerische Herangehensweise à la Laurence Olivier. Ich tendiere immer zur zweiten Haltung im Sinne von Diderot, dass der Darsteller stets eine Distanz zur dargestellten Rolle einnimmt. Eine Dialektik, die sich nie auflösen lässt.
Sich identifikatorisch in die Rolle reinzuschmeissen und in ihr persönlich aufgehen zu wollen, ist also bei Bergs Wozzeck eher keine Option?
Ungeachtet der Konditionsprobleme, die man dann bekommt, kann man als Wozzeck schon schreien wie ein losgelassener Stier. Und es ist nicht ganz selten, dass das auch passiert. Das ist darstellerisch schon sehr wirkungsvoll, aber es entspricht nicht ganz dem, was ich mir vorstelle und leisten kann.
Wozzeck vereint als Figur viele widersprüchliche Facetten: Er ist die geschundene, gedemütigte Kreatur, also ein bemitleidenswertes Opfer, aber auch der gefährliche Täter, der mordet. In ihm kommen Dumpfheit und eine visionäre Hellhörigkeit zusammen. Er hat resignative und aufbegehrende Momente. Welche Facetten interessieren Sie am meisten?
Dass er ein underdog ist, berührt mich doch sehr. Im Grunde besteht ja das gesamte Personal des Stücks nur aus underdogs. Der Herrscher über die Verhältnisse taucht nicht auf. Alle sind Getriebene, die treibende Kraft bleibt anonym. Aber die Defizite werden benannt. Und dann beschäftigt mich natürlich die offensichtliche Psychopathie von Wozzeck.
Weil Sie vor Ihrer Sängerkarriere Medizin studiert haben und die Figur deshalb mit einem speziellen Interesse betrachten?
Manche Freunde sagen mir: Hör mit deinen Psychologismen auf und mit deinen biografistischen Ableitungen, das ist nicht zum Aushalten. Aber es fällt mir schwer. Und ich glaube, bei Georg Büchner und in Alban Bergs Oper geht es gar nicht anders. Die Entstehungsgeschichte des Woyzeck-Schauspiels ist ohne die Tatsache, dass Büchner Mediziner und Revolutionär war, gar nicht denkbar, und das Psychopathologische an Wozzeck ist von der ersten Szene an evident: «Er sieht immer so verhetzt aus», singt der Hauptmann.
Sie erkennen darin das Symptom einer Geisteskrankheit?
Ich will hier nicht auf eine Diagnose hinaus. Die könnte ich auch gar nicht stellen, denn ich bin kein Psychiater. Aber es weist in Wozzeck schon vieles in Richtung einer psychischen Erkrankung. Seine Wahnvorstellungen etwa, alles sei hohl, alles schwanke, es gibt Dinge, die nur er hört und sieht.
Was folgt daraus für den Blick auf die Figur?
Eine Tragik spüre ich da. Nehmen Sie die Unterhaltung zwischen Wozzeck und dem Doktor in der Studierstube des Doktors. Er wird gescholten, dass er an die Wand gepisst hat, wird ermahnt, seine Bohnen zu essen und so weiter. Irgendwann bricht es aus Wozzeck heraus, mit Worten, die nicht die seinen sind und die ihm selbst rätselhaft bleiben, weil auch das, was in ihm vorgeht, rätselhaft für ihn ist. «Sehen Sie Herr Doktor, manchmal hat man so ’nen Charakter... so ’ne Struktur... mit der Natur...» Es sind Worte, die nicht zu seinem Verständnishorizont gehören. Er redet, weil sich durch bedrängende Erlebnisse ein enormer Leidensdruck in ihm aufgebaut hat. Das ist typisch für seelisch Leidende. Sie wollen etwas los werden, sie müssen äussern, was sie in diesem ungemein vielfältigen Erleben bedrängt und beschäftigt. Wozzeck schreibt Wahrnehmungen einen Sinn zu, den andere nicht nachvollziehen können. Er weist auf die «Schwämme» hin, «Linienkreise, Figuren, wer das lesen könnte.» Diese Tragik, etwas stark zu erleben, es aber nicht angemessen äussern zu können, habe ich im Rahmen meines Medizinstudiums oft mitbekommen. Für den Kranken hat solches Erleben eine unglaubliche Bedeutung, aber von der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist es ausgeschlossen – wo es ja auch bei intellektuellen Personen schwer zu formulieren bleibt. Bei Büchner und Alban Berg aber wird plötzlich so eine Persönlichkeitsstruktur und das dazugehörige Leiden zum Thema.
Ein Verhalten für pathologisch zu erklären, bedeutet ja oft, es nicht ernst zu nehmen. Wozzecks Hirnwut hat aber auch etwas Visionäres.
Seine Wahrnehmungsfähigkeit ist auch eine Welt-Hellhörigkeit. Aber es bleibt offen, ob das, was Wozzeck visioniert, wirklich interessant ist. Wozzecks Wahnwelt ist solipsistisch. Andreas Homoki trägt dem in seiner Inszenierung in starkem Masse Rechnung. Er zeigt die Szenen aus der Sicht der Titelfigur, in surrealer Verzerrung und karikaturistischer Überzeichnung. Die Inszenierung zeigt die Wahrnehmungswelt Wozzecks.
Durchläuft Wozzeck im Verlaufe des Stücks eine Entwicklung?
Für mich ja. Es gibt aber auch Wozzeck Darstellungen, in denen steht er von der ersten Szene an sozusagen mit dem offenen Messer in der Hosentasche auf der Bühne. Das finde ich nicht richtig. Am Anfang ist er hilflos und desorientiert. Der Hauptmann fährt ihn an: «Red’ Er doch was!» Das kennen wir doch alle: Wenn man einen Schweigenden anschreit, er soll endlich etwas sagen, dann sagt der erst recht nichts. Der gesamte erste Akt handelt von der maximalen Verunsicherung Wozzecks. In der Hauptmannszene, mit Andres auf dem Feld, dann in der Begegnung mit seiner Frau und dann kommt noch der Doktor mit seinen unsterblichen Experimenten. Jede Szene exponiert eine existenzielle Unsicherheit Wozzecks. Im zweiten Akt entwickelt Wozzeck dann ein Selbstbewusstsein ex negativo, und das geht in Richtung Hass. Diese Entwicklung nimmt immer mehr Fahrt auf. Die Wut wächst. Und er erfährt diese zunehmend als das, was seine Person ausmacht, weil er sich in ihr zum ersten Mal als nicht mehr fremdgesteuert wahrnimmt. Er wird dann im dritten Akt tatsächlich zu dem offenen Rasiermesser, als dass ihn der Hauptmann bezeichnet. Gleichzeitig nimmt sein Gehetztsein ab. Er ermordet Marie bewusst und planvoll. Das empfinde ich als Wozzecks Tragik: Er mordet als Akt der Selbst-Bewusstwerdung, welche ihm sonst versagt blieb.
Das Gespräch führte Claus Spahn.
Foto von Gregor Hohenberg.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 31, September 2015.
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Wie machen Sie das, Herr Bogatu?
«Das geht nicht»… «Diesmal schaffen wir es wirklich nicht»… «No Way»… «Alles hat seine Grenzen»…: Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, während mir Andreas Homoki und sein Bühnenbildner Michael Levine den Bühnenbildentwurf zur Produktion Wozzeck zum ersten Mal präsentierten. Aber das, was sie mir präsentierten, war zugleich optisch unerhört spannend und technisch extrem herausfordernd: Ein Bühnenbild, das selbst mitspielt, die Handlung vorantreibt, kommentiert und zuspitzt. Unser Ehrgeiz, diesen Entwurf auf die Bühne zu bringen, war erwacht. So machte sich vor mehr als einem halben Jahr unsere Projektleiterin Susan Klimmer an die Planung; und während ich diesen Artikel schreibe, wird das Bühnenbild von unserer Technik unter der Leitung unseres Bühnenmeisters Marc Linke auf der Bühne zum ersten Mal aufgebaut.
Die Elemente, die Susan mit unserem Konstruktionsprogramm am Computer vor Wochen und Monaten per Mausklick entworfen, verändert, verschoben und zusammengefügt hat, werden seit heute früh sieben Uhr auf grossen Wagen auf die Bühne gerollt. Das Element, das sie am Rechner einfach neben ein anderes geschoben hat und das dann von der Software automatisch am Nachbarelement ausgerichtet wurde, steht nun ganz real vor Marc auf der Bühne und muss von 15 Technikern mühselig Zentimeter für Zentimeter über den Bühnenboden gewuchtet werden, bis es exakt am Nachbarelement sitzt. Der Versuch, die beiden Elemente zu verschrauben, scheitert zunächst: Die Befestigungslöcher sind um Millimeter gegeneinander verschoben, die Technik flucht und drückt, hebelt und ächzt, bis die Teile sitzen. Dann werden die grossen Teile miteinander verschraubt, und das nächste Element wird auf die Bühne gewuchtet. Und das Bühnenbild besteht aus vielen solchen Elementen… Jetzt ist es gleich 23 Uhr, die letzten Teile werden auf ihre Position geschoben – alles passt!
Doch mit dem Aufbau allein ist es beim Bühnenbild des Wozzeck nicht getan: Denn der Bühnenraum spielt ja mit, ist Teil der szenischen Bewegung, und seine Verwandlungen sind so komplex und vielseitig, dass wir heute Nacht beginnen müssen, mittels einer extra dafür programmierten Steuerung dem Bühnenbild Leben einzuhauchen, sprich Bewegung beizubringen. Morgen Abend kann es dann bereits bei der ersten Bühnenprobe mitspielen. Welche Rolle es spielen wird und welchen spektakulären Effekt es zum Ende der Inszenierung bereit hält, verrate ich hier nicht. Nur so viel: Schon allein aus technischen Gründen muss man diese Inszenierung unbedingt gesehen haben.
Text von Sebastian Bogatu.
Illustration von Anita Allemann.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 31, September 2015.
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Die geniale Stelle
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fahren ein greller Bläser-Akkord und ein dröhnender Tam-Tam-Schlag ins musikalische Geschehen: Der Arzt, der gerade seinen Patienten zu untersuchen schien, fährt in hellem Schrecken auf. Was ist geschehen? Der Soldat, den er da untersucht, ist kein Patient (eine ärztliche Behandlung könnte er sich gar nicht leisten), sondern ein Versuchsobjekt: Der Doktor erprobt «wissenschaftlich» am lebenden Menschen die Wirkung extrem einseitiger Ernährung auf den Organismus und die Psyche. Aber das Versuchsobjekt verhält sich nicht regelkonform. Mit eigenen Augen hat der Herr Doktor gesehen, wie der Soldat Wozzeck «auf der Strasse gepisst hat». Das ist «schlecht, sehr schlecht», aber nicht, weil es ungehörig ist, sondern – diese Erkenntnis ist es, die ihn so heftig erschreckt – weil es seine Studien behindert. Denn er benötigt die kostbare Körperflüssigkeit für seine Analysen, mit denen er eine «Revolution in der Wissenschaft» auszulösen hofft, die ihn unsterblich machen, und so dem Tod ein Schnippchen schlagen soll.
Denn der Tod ist es, der hier plötzlich im Raum steht. Wenn auch der Doktor das Wort nie ausspricht, die Musik ist unmissverständlich: Der schrille Klang, der das musikalische Gewebe zerreisst, ist es-Moll, ein reiner Dreiklang, der im atonalen Umfeld wie ein Fremdkörper aus einer anderen Welt erscheint: Es ist die Welt des Todes, auf die die Tonart es-Moll traditionell verweist. Der Dreiklang bezeichnet also das Entsetzen des Doktors, der seinen Weg in die Unsterblichkeit durch Wozzecks Insubordination gefährdet sieht. Wer so stark auf das Nachher, sein Nachleben, nicht im Jenseits, sondern im Diesseits, fixiert ist, lebt nicht gern. Der Doktor ist ebenso von Angst zerfressen wie der Hauptmann und der Tambourmajor – und wie Wozzeck, den sie zugrunde richten, um ihrer Angst Herr zu werden. Die hier mit vollem Bewusstsein an der Zerstörung eines Menschen arbeiten, tun es als Getriebene, als Rädchen in einem Getriebe, dem sie ebenso ausgeliefert sind, wie ihr Opfer, auch sie unmenschlichen Verhältnissen unterworfen, die sie nicht gemacht haben und nicht durchschauen.
Diese Übereinstimmung im Schicksal der Figuren betont Berg, indem er den es-Moll-Akkord ein zweites Mal auftauchen lässt: In der Mitte der Wirtshausszene im 2. Akt, grundiert er den Moment, da Wozzeck den Entschluss fasst, Marie – und damit auch sich – zu töten. Es ist derselbe Akkord, aber in ganz anderer Gestalt. Der schrille Klang der hohen Bläser ist dem düsteren aber weichen, fast heimeligen der Posaunen in tiefer Lage gewichen. Für Wozzeck ist der Gedanke an den Tod nicht erschreckend. Der Ärmste der Armen ist wie jene Sklaven, über die es in Bertolt Brechts Verhör des Lukullus heisst: «Sie trennt nur so weniges von den Toten. Von ihnen kann man sagen, dass sie nur beinahe leben.»
Der Knecht fürchtet den Tod nicht wie der Herr, denn ihn bindet so wenig an das Leben. Doch gerade deshalb ist er es, der den Zwang brechen könnte. Denn kein undurchschaubares Fatum waltet hier über den Menschen, es sind die Menschen, die ihr Schicksal schaffen, und Menschen können es auch ändern. Erhöbe sich der Knecht, er könnte auch den Herrn befreien. Aber die Maschine funktioniert zu gut: Der Mann, der ihr kleinstes Rädchen ist, richtet seine Energie gegen den einzigen Menschen, der noch schwächer ist als er, gegen die Frau, die er liebt, und die alles ist, was er hat.
Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 31, September 2015.
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Wozzeck
Synopsis
Wozzeck
Erster Akt
1. Szene
Wozzeck rasiert den Hauptmann, der ihn zur Langsamkeit mahnt. Der Hauptmann fühlt sich von der Ewigkeit bedroht. Er provoziert Wozzeck, indem er ihm vorwirft, unmoralisch zu sein: Wozzeck habe ein uneheliches Kind. Wozzeck verteidigt sich: Er beruft sich auf einen gütigen Gott und erklärt, dass man nicht tugendhaft sein könne, wenn einem das Geld fehle.
2. Szene
Wozzeck und sein Freund Andres sind draussen in der freien Natur. Andres singt ein fröhliches Jägerlied, Wozzeck hat Visionen.
3. Szene
Marie und ihre Nachbarin bestaunen den Tambourmajor, der mit seiner Militärkapelle an ihnen vorbeizieht. Dabei geraten sie in Streit. Marie singt ihr Kind in den Schlaf. Wozzeck kommt. Sein Zustand ängstigt Marie.
4. Szene
Wozzeck dient dem Doktor für wenig Geld als medizinisches Versuchsobjekt. Er berichtet ihm von seinen beunruhigenden Visionen. Hingerissen von Wozzecks geistiger Verwirrung, die er als interessante Folge seiner Ernährungsexperimente versteht, verspricht ihm der Doktor noch mehr Zulage. Er glaubt, sein unsterblicher Ruhm als Wissenschaftler sei ihm nun gewiss.
5. Szene
Marie gibt sich nach kurzem Widerstand dem Tambourmajor hin.
Zweiter Akt
1. Szene
Marie betrachtet stolz die Ohrringe, die sie vom Tambourmajor bekommen hat. Der Anblick ihres Sohnes verdirbt ihr jedoch die Freude. Unerwartet kommt Wozzeck und sieht den teuren Schmuck. Seinem Misstrauen begegnet Marie mit Ausflüchten. Wozzeck händigt Marie seinen Lohn aus, den er vom Hauptmann und vom Doktor erhalten hat. Marie hat Schuldgefühle.
2. Szene
Der Hauptmann hetzt dem Doktor auf der Strasse hinterher. Der Doktor quält ihn, indem er seine Angst, an einer Krankheit zu sterben, schürt. Als Wozzeck erscheint, machen sie sich über ihn lustig und spielen auf Maries Verhältnis mit dem Tambourmajor an. Bestürzt rennt Wozzeck davon.
3. Szene
Wozzeck sucht Marie auf. Seinen Fragen nach dem Tambourmajor weicht sie provozierend aus. Auf Wozzecks Drohungen reagiert sie höhnisch. Wozzeck verliert den Boden unter den Füssen.
4. Szene
In einer albtraumhaften Wirtshausszene sieht Wozzeck, wie Marie und der Tambourmajor entfesselt miteinander tanzen. Ein betrunkener Handwerksbursche philosophiert über die traurige Existenz des Menschen. Ein Narr riecht Blut.
5. Szene
Nachts in der Kaserne findet Wozzeck keinen Schlaf. Immer wieder sieht er Marie mit dem Tambourmajor tanzen. Der betrunkene Tambourmajor taucht auf und prahlt mit seiner erotischen Eroberung. Zudem demütigt er Wozzeck mit seiner körperlichen Überlegenheit und schlägt ihn zusammen.
Dritter Akt
1. Szene
Marie liest in der Bibel die Geschichte der Ehebrecherin Maria Magdalena. Wozzecks Kind erinnert sie immer wieder an ihre Schuld. Sie erzählt dem Kind ein tieftrauriges Märchen. Dann betet sie und bittet um Erbarmen.
2. Szene
Wozzeck ist mit Marie unterwegs. Er erinnert sie an die gemeinsam verbrachte Zeit. Nach einem Moment des Schweigens zieht Wozzeck sein Messer und ermordet sie.
3. Szene
Wozzeck sucht Margret auf. Sie entdeckt Blut an seiner Hand. Wozzeck flieht.
4. Szene
Wozzeck kehrt zu Maries Leiche zurück. Er sucht das Messer und wirft es in den Teich. Beim Versuch, das Messer noch weiter hineinzuwerfen und sich reinzuwaschen, ertrinkt Wozzeck. Der Hauptmann und der Doktor gehen vorbei.
5. Szene
Aufgeregt erzählen die Kinder dem Sohn von Wozzeck und Marie vom Tod
seiner Mutter. Die Kinder laufen hinaus, um die Leiche anzusehen.
Biografien
Fabio Luisi, Musikalische Leitung
Fabio Luisi
Fabio Luisi stammt aus Genua. Er ist Generalmusikdirektor des Opernhauses Zürich, Music Director des Dallas Symphony Orchestra und Chefdirigent des Danish National Symphony Orchestra. Von 2011 bis 2017 war Fabio Luisi Principal Conductor der Metropolitan Opera in New York, zuvor Chefdirigent der Wiener Symphoniker (2005-2013), Generalmusikdirektor der Staatskapelle Dresden und der Sächsischen Staatsoper (2007-2010), Künstlerischer Leiter und Chefdirigent des MDR Sinfonieorchesters Leipzig (1999-2007) und Musikdirektor des Orchestre de la Suisse Romande (1997-2002), mit dem er zahlreiche CDs aufnahm (Poulenc, Respighi, Mahler, Liszt, eine Gesamtaufnahme der sinfonischen Werke von Arthur Honegger und Verdis Jérusalem und Alzira). Er ist Musikdirektor des «Festival della Valle d’Itria» in Martina Franca (Apulien) und Gastdirigent renommierter Klangkörper, darunter das Philadelphia Orchestra, das Cleveland Orchestra, das NHK Tokio, die Münchener Philharmoniker, die Filarmonica della Scala, das London Symphony Orchestra, das Concertgebouw Orkest Amsterdam, das Saito Kinen Orchester sowie zahlreiche namhafte Opernorchester. Bei den Salzburger Festspielen trat er mit Richard Strauss’ Die Liebe der Danae und Die Ägyptische Helena hervor. Zu seinen bedeutendsten Dirigaten am Opernhaus Zürich zählen bisher u.a. die Neuproduktionen von drei Bellini-Opern sowie Rigoletto, Fidelio, Wozzeck und Verdis Messa da Requiem. Wichtige CD-Aufnahmen sind Verdis Aroldo, Bellinis I puritani und I Capuleti e i Montecchi, sämtliche Sinfonien von Robert Schumann sowie die Sinfonien und das Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln des vergessenen österreichischen Komponisten Franz Schmidt. Ausserdem liegen verschiedene sinfonische Dichtungen von Richard Strauss und eine hochgelobte Aufnahme von Bruckners 9. Sinfonie mit der Staatskapelle Dresden vor. Für die Einspielungen von Siegfried und Götterdämmerung mit dem Orchester der Met erhielt er einen Grammy, 2013 wurde ihm der begehrte italienische Kritikerpreis Premio Franco Abbiati und 2014 der Grifo d’Oro der Stadt Genua verliehen. Er ist Träger des Bruckner-Ringes der Wiener Symphoniker sowie Cavaliere und Commendatore der italienischen Republik. Im 2015 neu gegründeten Label «Philharmonia Records» der Philharmonia Zürich erschienen unter seiner Leitung bisher Werke von Berlioz, Wagner, Verdi, Rachmaninow, Bruckner, Schubert, Rimski-Korsakow und Frank Martin sowie die DVDs zu Rigoletto (Regie: Tatjana Gürbaca), Wozzeck (Regie: Andreas Homoki), I Capuleti e i Montecchi (Regie: Christof Loy), die Messa da Requiem (Regie/Choreografie: Christian Spuck) und Das Land des Lächelns (Regie: Andreas Homoki).
Andreas Homoki, Inszenierung
Andreas Homoki
Andreas Homoki wurde als Sohn einer ungarischen Musikerfamilie 1960 in Deutschland geboren und studierte Schulmusik und Germanistik in Berlin (West). 1987 ging Andreas Homoki als Regieassistent und Abendspielleiter an die Kölner Oper, wo er bis 1993 engagiert war. In den Jahren 1988 bis 1992 war er ausserdem Lehrbeauftragter für szenischen Unterricht an der Opernschule der Musikhochschule Köln. Hier entstanden erste eigene Inszenierungen. 1992 führte ihn seine erste Gastinszenierung nach Genf, wo seine Deutung der Frau ohne Schatten internationale Beachtung fand. Die Inszenierung, die später auch am Pariser Théâtre du Châtelet gezeigt wurde, erhielt den französischen Kritikerpreis des Jahres 1994. Von 1993 bis 2002 war Andreas Homoki als freier Opernregisseur tätig und inszenierte u. a. in Köln, Hamburg, Genf, Lyon, Leipzig, Basel, Berlin, Amsterdam und München. Bereits 1996 debütierte er an der Komischen Oper Berlin mit Falstaff, es folgten Die Liebe zu drei Orangen (1998) sowie im Jahre 2000 Die lustige Witwe. 2002 wurde Andreas Homoki als Nachfolger von Harry Kupfer zum Chefregisseur der Komischen Oper Berlin berufen, deren Intendant er 2004 wurde. Neben seinen Regiearbeiten an der Komischen Oper Berlin inszenierte er u. a. am Théâtre du Châtelet in Paris, an der Bayerischen Staatsoper München, am New National Theatre Tokyo, an der Sächsischen Staatsoper Dresden und der Hamburgischen Staatsoper. Im Juli 2012 inszenierte er unter der musikalischen Leitung von William Christie David et Jonathas von Marc-Antoine Charpentier für das Festival in Aix-en-Provence – eine Produktion, die später auch u. a. in Edinburgh, Paris und New York gezeigt wurde. Seit Beginn der Spielzeit 2012/13 ist Andreas Homoki Intendant des Opernhaus Zürich und inszenierte hier u. a. Der fliegende Holländer (Koproduktion mit der Mailänder Scala und der Norwegischen Staatsoper Oslo), Fidelio, Juliette, Lohengrin (Koproduktion mit der Wiener Staatsoper), Luisa Miller (Hamburgische Staatsoper), Wozzeck, My Fair Lady (Komische Oper Berlin), I puritani, Medée, Lunea (von der Zeitschrift Opernwelt zur «Uraufführung des Jahres 2017/18» gekürt), Iphigénie en Tauride, Nabucco, Simon Boccanegra, Les Contes d’Hoffmann, Salome, den Ring des Nibelungen und Carmen. Andreas Homoki ist seit 1999 Mitglied der Akademie der Künste Berlin.
Michael Levine, Bühne und Kostüme
Michael Levine
Michael Levine stammt aus Kanada. Er studierte an der Central School of Art and Design in London und ist seit 35 Jahren international als Bühnen- und Kostümbildner tätig. Zu den Regisseur:innen, mit denen er regelmässig zusammenarbeitet, gehören Andreas Homoki, Robert Carsen, Deborah Warner, Simon McBurney und Tim Albery. Zuletzt entwarf er Bühnenbilder u. a. für Iphigénie en Tauride, Wozzeck, Sweeney Todd und Madama Butterfly (Opernhaus Zürich), Die tote Stadt (Komische Oper Berlin), Hell’s Fury, The Hollywood Songbook (Luminato Festival Toronto), The Rake’s Progress (Festival d’Aix-en-Provence), Billy Budd (Teatro Real Madrid/Teatro dell’Opera di Roma), Hänsel und Gretel (De nationale Opera Amsterdam), Madama Butterfly (Bregenzer Festspiele) und Parsifal (Opéra National de Lyon/Metropolitan Opera New York). Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 1981 wurde Michael Levine zum «Chevalier des Arts et des Lettres» ernannt. In der Saison 2021/22 debütierte er an der Bayerischen Staatsoper mit dem Bühnenbild zu Das schlaue Füchslein und schuf dort in der Spielzeit 2022/23 das Bühnenbild für Semele. Ebenfalls 2022/23 entwarf er das Bühnenbild zu Turandot an De Nationale Opera Amsterdam, Peter Grimes an der Opéra National de Paris und Die Zauberflöte an der Met in New York.
Meta Bronski, Kostümmitarbeit
Meta Bronski
Meta Bronski assistierte nach einem Studium in Modedesign und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee sowie der Koninklijke Academie voor Schone Kunsten Antwerpen Regisseuren wie Robert Carsen, Dieter Dorn, Thomas Langhoff, Johannes Schaaf, Karin Beier und Karin Henkel. Sie arbeitete als künstlerische Mitarbeiterin und Produktionsleiterin an der Semperoper Dresden, dem Gran Teatro del Liceu in Barcelona, den Osterfestspielen Baden-Baden und für die Salzburger Festspiele sowie in Berlin, New York, Brüssel und Köln. Sie ist Gründungsmitglied der Theaterplattform ausbau.sechs und realisierte seitdem Kostüme für das Residenztheater, das Teamtheater, das Pathos in München und für das Theater St. Gallen. 2014 zeichnete sie an der Oper in Perm für die Kostüme von Don Giovanni in der Regie von Valentina Carrasco und unter der musikalischen Leitung von Teodor Currentzis verantwortlich.
Franck Evin, Lichtgestaltung
Franck Evin
Franck Evin, geboren in Nantes, ging mit 19 Jahren nach Paris, um Klavier zu studieren. Nachts begleitete er Sänger im Café Théâtre Le Connetable und begann sich auch für Beleuchtung zu interessieren. Schliesslich entschied er sich für die Kombination aus Musik und Technik. Dank eines Stipendiums des französischen Kulturministeriums wurde er 1983 Assistent des Beleuchtungschefs an der Opéra de Lyon. Hier arbeitete er u. a. mit Ken Russel und Robert Wilson zusammen. Am Düsseldorfer Schauspielhaus begann er 1986 als selbstständiger Lichtdesigner zu arbeiten und legte 1993 die Beleuchtungsmeisterprüfung ab. Besonders eng war in dieser Zeit die Zusammenarbeit mit Werner Schröter und mit dem Dirigenten Eberhard Kloke. Es folgten Produktionen u. a. in Nantes, Strassburg, Paris, Lyon, Wien, Bonn, Brüssel und Los Angeles. Von 1995 bis 2012 war er Künstlerischer Leiter der Beleuchtungsabteilung der Komischen Oper Berlin und dort verantwortlich für alle Neuproduktionen. Hier wurden besonders Andreas Homoki, Barrie Kosky, Calixto Bieto und Hans Neuenfels wichtige Partner für ihn. Im März 2006 wurde Franck Evin mit dem «OPUS» in der Kategorie Lichtdesign ausgezeichnet. Seit Sommer 2012 arbeitet er als künstlerischer Leiter der Beleuchtungsabteilung an der Oper Zürich. Franck Evin wirkt neben seiner Tätigkeit in Zürich weiterhin als Gast in internationalen Produktionen mit, etwa an den Opernhäusern von Oslo, Stockholm, Tokio, Amsterdam, München, Graz sowie der Opéra Bastille, der Mailänder Scala, dem Teatro La Fenice, der Vlaamse Opera und bei den Bayreuther Festspielen.
Jürg Hämmerli, Choreinstudierung
Jürg Hämmerli
Jürg Hämmerli studierte am Konservatorium Winterthur Musiktheorie und Klavier. 1984 erwarb er das Klavierlehrdiplom. Darauf folgten Dirigierstudien an der Musikhochschule in Zürich. Seine Gesangsausbildung an der Akademie für Schul- und Kirchenmusik in Luzern schloss er 1989 ab. 1985 wurde er zum Leiter einer Jugendmusikschule gewählt und 1987 als Assistent des Chordirektors ans Opernhaus Zürich berufen. Von 1990 bis 1993 war er Stellvertreter des Chordirektors mit eigenen Einstudierungen. Seit der Spielzeit 1993/ 94 ist Jürg Hämmerli Chordirektor des Opernhauses Zürich. In dieser Zeit zeichnete er verantwortlich für Choreinstudierungen von ungefähr 100 Opernproduktionen und vielen Konzerten. Seine Arbeit ist in CD- und DVD-Aufnahmen sowie TV-Produktionen dokumentiert, darunter Traviata im Hauptbahnhof von 2008. In London, Paris, Moskau, Prag, Peking und anderen Städten hat Jürg Hämmerli Gastspiele gegeben oder Einstudierungen betreut. Für den Festakt zum Jubiläum «50 Jahre Diplomatische Beziehungen Schweiz – Volksrepublik China» in Shanghai im Jahr 2000 hat er mit dem Chinesischen Nationalchor Die Zauberflöte einstudiert, und er bereitete den Opernchor Zürich auf die 500-Jahr-Feier der Päpstlichen Schweizergarde 2006 in Rom vor. Neben seiner Arbeit mit dem Chor des Opernhauses Zürich und anderen professionellen Chören wie dem Chor der Nationaloper Sofia, dem Prager Rundfunkchor, dem Kammerchor Moskau, dem ehemaligen Schweizer Kammerchor oder dem Ensemble der am Opernhaus tätigen Zuzüger ist ihm die musikalische Betreuung des Zusatzchors sowie des Kinder- und Jugendchors der Zürcher Oper ein besonderes Anliegen.
Kathrin Brunner, Dramaturgie
Kathrin Brunner
Kathrin Brunner wurde in Zürich geboren. Sie studierte in ihrer Heimatstadt sowie an der Humboldt-Universität Berlin Germanistik, Musikwissenschaft und Französisch. Nach diversen Regiehospitanzen (u.a. Die Dreigroschenoper am Luzerner Theater; Regie: Vera Nemirova) und Dramaturgiehospitanzen ist sie seit 2008 Dramaturgin am Opernhaus Zürich. Hier arbeitete sie u.a. mit Regisseur:innen wie Achim Freyer (Moses und Aron), Harry Kupfer (Die Meistersinger von Nürnberg, Tannhäuser), Stephan Müller, Guy Joosten, Damiano Michieletto, Christof Loy (La straniera, Alcina, I Capuleti e i Montecchi, Don Pasquale, La rondine), Willy Decker (Il ritorno d'Ulisse in patria, The Turn of the Screw), Andreas Homoki (Wozzeck, Das Land des Lächelns, La forza del destino), Christoph Marthaler (Il viaggio a Reims, Orphée et Euridice), Barrie Kosky (Die Gezeichneten, Boris Godunow), Nadja Loschky, Nina Russi, Jan Essinger und Jetske Mijnssen (Idomeneo, Hippolyte et Aricie, Platée). Bei den Salzburger Festspielen 2012 erarbeitete sie La bohème mit Damiano Michieletto. Während der Corona-Pandemie war sie Co-Gründerin der Konzertreihe Altchemie live in der Alten Chemie Uetikon (https://www.altchemie.live).
Christian Gerhaher, Wozzeck
Christian Gerhaher
Christian Gerhaher studierte Medizin und Gesang und rundete seine Ausbildung in Meisterkursen bei Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf und Inge Borkh ab. Während des Studiums entstand eine enge Partnerschaft mit dem Pianisten Gerold Huber. Seit mehr als 30 Jahren setzen die beiden Massstäbe in der Liedinterpretation. Die Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink, Nikolaus Harnoncourt, Mariss Jansons, Andris Nelsons, Antonio Pappano, Kirill Petrenko, Simon Rattle und Christian Thielemann führte ihn zu Orchestern wie dem London Symphony Orchestra und den Wiener Philharmonikern. Er ist regelmässig zu Gast bei den Festivals in Edinburgh, Luzern, Salzburg, dem Rheingau Musik Festival und den BBC Proms. Zu seinen wichtigsten Opernpartien zählen Wolfram (Tannhäuser), Posa (Don Carlo), Germont (La traviata), Il Conte di Almaviva (Le nozze di Figaro), Orfeo, Don Giovanni, Simon Boccanegra, Pelléas, Henzes Prinz von Homburg sowie Lenau in Holligers Lunea. Als Meilenstein gilt seine Darstellung des Wozzeck am Opernhaus Zürich. Mit Gerold Huber veröffentlichte er u. a. Liederzyklen von Schubert und Mahler. Ihre Einspielung Robert Schumann: Alle Lieder wurde 2022 mit einem OPUS Klassik ausgezeichnet. Zuletzt veröffentlichte er Mahlers Lied von der Erde in der Klavierfassung sowie sein erstes Buch, Lyrisches Tagebuch, ein Kompendium zur Liedinterpretation. Christian Gerhaher ist Professor für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater München und unterrichtet an der Royal Academy of Music in London.
Martin Winkler, Wozzeck
Martin Winkler
Martin Winkler, Bassbariton, wurde in Bregenz geboren und studierte an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien bei Walter Berry. Nach einem ersten Festengagement am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin wechselte er 2003 ins Ensemble der Komischen Oper Berlin, wo er als Nekrotzar (Le Grand Macabre) sein viel beachtetes Hausdebüt gab. Gastengagements führten ihn an die Opéra de Lyon, die Staatsoper Prag und die Volksoper Wien. Seit 2009 ist Martin Winkler Ensemblemitglied der Volksoper Wien, wo er Debüts in zentralen Rollen seines Fachs gab, darunter Puccinis Gianni Schicchi, Bartolo (Il barbiere di Siviglia), Kezal (Die verkaufte Braut) und der Herrscher in Korngolds Das Wunder der Heliane. Martin Winkler war ausserdem als Korporal Mors in Carl Nielsens Maskarade, als Mesner und Kerkermeister (Tosca) und als Sartorius in der Uraufführung von Detlef Glanerts Solaris bei den Bregenzer Festspielen, als Wozzeck an der Oper Graz, als Waldner (Arabella) an der Semperoper Dresden und als Tierbändiger (Lulu) an der Metropolitan Opera New York zu Gast und sang Wagners Alberich in Rom, Brüssel, Stockholm, Warschau, Nürnberg und Düsseldorf sowie in Frank Castorfs Neuinszenierung des Ring des Nibelungen 2013 bei den Bayreuther Festspielen unter Kirill Petrenko. Weitere Einladungen führten ihn u. a. an die Staatsopern in München und Wien, die Oper Leipzig und an das Grand Théâtre de Genève. Als Jupiter in Orphée aux enfers gab er im Sommer 2019 sein Salzburger Festspieldebüt. 2022 wurde ihm der Ehrentitel «Kammersänger» der Republik Österreich verliehen.
Leigh Melrose, Wozzeck
Leigh Melrose
Leigh Melrose wuchs in London auf. Sein Gesangsstudium absolvierte er am St. John’s College in Cambridge sowie an der Londoner Royal Academy of Music und sammelte erste Bühnenerfahrungen am Opernstudio der English National Opera. Diesem Haus ist Leigh Melrose bis heute verbunden: In den letzten Jahren war er dort als Ned Keene in Brittens Peter Grimes, als Tadeusz in Mieczyslaw Weinbergs The Passenger, als Escamillo in Bizets Carmen und in der Titelpartie von Bergs Wozzeck zu erleben. Sein Repertoire erstreckt sich von Papageno in Mozarts Zauberflöte, den er in Seattle gestaltete, und von Figaro in Rossinis Il barbiere di Siviglia, mit dem er an der New York City Opera gastierte, über Verismo-Rollen wie Silvio in Leoncavallos Pagliacci oder Marcello in Puccinis La bohème bis zu Tschaikowskys Eugen Onegin und den grossen Bariton-Partien Benjamin Brittens. Vor allem ist Leigh Melrose ein gesuchter Interpret zeitgenössischer Musik: Er wirkte u.a. bei der Uraufführung von Johannes Kalitzkes Die Besessenen am Theater an der Wien mit, sang Elliott Carters On Conversing with Paradise beim Aldeburgh Festival und gehörte zum Ensemble der britischen Erstaufführung von Luca Francesconis Quartett am Royal Opera House in London. Als Konzertsänger interpretierte er u. a. Wolfgang Rihms Der Maler träumt beim Maggio Musicale in Florenz, Matthias Pintschers Songs from Solomon’s garden in Paris und Bernd Alois Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter mit dem hr-Sinfonieorchester in Frankfurt. Bei den BBC Proms in London war er mit Werken von Britten, de Falla und Gilbert & Sullivan zu hören. 2015 sang er Alberich (Das Rheingold) unter Teodor Currentzis bei der Ruhrtriennale, 2016 u.a. Stolzius in Zimmermanns Die Soldaten am Teatro Colon in Buenos Aires und interpretierte die Rolle ein Jahr später auch am Teatro Real in Madrid. In der Spielzeit 2017/18 kehrte er an die Ruhrtriennale zurück und gab dort sein Rollendebut als Golaud in Pelléas et Mélisande. In Zürich war er zuletzt als Ruprecht in Der feurige Engel zu erleben.
Brandon Jovanovich, Tambourmajor
Brandon Jovanovich
Brandon Jovanovich studierte an der Northern Arizona University sowie an der Manhattan School of Music. Sein Sieg beim Richard-Tucker-Gesangswettbewerb 2007 war der Auftakt zu einer internationalen Karriere, die ihn seither an die bedeutendsten Opernbühnen geführt hat. So gab er in der Saison 2009/10 sein Debüt an der New Yorker Met als Don José (Carmen). Die gleiche Rolle hat er an der Deutschen Oper Berlin, an der Bayerischen Staatsoper in München, am Opernhaus Zürich, in der Arena di Verona, an der Lyric Opera of Chicago, dem Gran Teatro del Liceu in Barcelona und am Glyndebourne Festival gesungen, sowie unlängst in Dallas, Houston, Los Angeles (unter Plàcido Domingo), Australien und an der Wiener Staatsoper. Sein Repertoire umfasst Partien wie Cavaradossi (u.a. Köln, Seattle, Nizza, Bregenz, Vlaamse Opera), Pinkerton (u.a. New York, San Francisco, Los Angeles, Stuttgart), Macduff, Alfredo (La traviata) oder Pollione (Norma). Er war u.a. in Les Contes d’Hoffmann an der Mailänder Scala zu hören, in der Titelrolle von Peter Grimes am Teatro di San Carlo in Neapel, sang Stolzing (Die Meistersinger von Nürnberg) in Paris und San Francisco, Des Grieux (Manon Lescaut) am Théâtre de la Monnaie in Brüssel und an der Bayerischen Staatsoper wie auch Bacchus (Ariadne auf Naxos) in München und Chicago. 2016/17 sang er u.a. Enée (Les troyens) und Don José in Chicago, Prinz (Rusalka) an der Met, Siegmund (Die Walküre) an der Deutschen Oper Berlin sowie Sergej (Lady Macbeth von Mzensk) an der Wiener Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen. In Zürich war er zuletzt als Florestan (Fidelio), Sergej, Tambourmajor (Wozzeck) sowie als Lohengrin zu erleben.
Mauro Peter, Andres
Mauro Peter
Der Tenor Mauro Peter wurde in Luzern geboren und studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in München. 2012 gewann er den ersten Preis und den Publikumspreis beim Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerb in Zwickau und gab sein umjubeltes Liederabenddebüt bei der Schubertiade in Schwarzenberg mit Schuberts Die schöne Müllerin. Seither tritt er in führenden Konzert- und Opernhäusern auf der ganzen Welt auf. Mit seinen vielseitigen Liedprogrammen gastierte er im Musikverein Wien, im Wiener Konzerthaus, im Pierre-Boulez-Saal in Berlin, der Kölner Philharmonie, im Münchner Prinzregententheater, in der Hamburger Laeiszhalle, beim Verbier Festival, beim Lucerne Festival, in der Wigmore Hall in London und bei den Salzburger Festspielen. Mit letzteren verbindet Mauro Peter eine langjährige Zusammenarbeit. So hat er dort neben zahlreichen Konzerten und Liederabenden 2016 den Ferrando in Così fan tutte, 2017 den Andres in Bergs Wozzeck sowie 2018 und 2022 den Tamino in der Zauberflöte gesungen. Nach einer Live-Aufnahme von Schuberts Die schöne Müllerin aus der Wigmore Hall erschien 2015 sein Debütalbum für Sony Classical mit einigen Goethe-Vertonungen von Schubert, gefolgt von einer Aufnahme der Dichterliebe und einer Auswahl anderer Schumann-Lieder im Jahr 2016. Jüngst feierte Mauro Peter zwei wichtige Rollendebüts: Im Musikverein für Steiermark sang er erstmals den Eisenstein in einer konzertanten Aufführung von Strauss’ Fledermaus, und mit Concerto Köln den Loge in Wagners Rheingold unter der Leitung von Kent Nagano.
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Hauptmann
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke studierte an der Wiener Musikhochschule bei Kurt Equiluz und Gerhard Kahry. 1997 debütierte er an der Opéra national de Paris, wo er u.a. als Monostatos (Die Zauberflöte), Capito (Mathis der Maler) und Mime (Der Ring des Nibelungen) zu erleben war. Diese Partie sang er auch an der Bayerischen Staatsoper, Berliner Staatsoper, Wiener Staatsoper, Mailänder Scala, Teatro La Fenice, Teatro Real, Théatre du Capitole de Toulouse, Canadian Opera Company und De Nationale Opera in Amsterdam. 1999 debütierte er beim Glyndebourne Festival, wo er seither mehr als 130 Vorstellungen gesungen hat (u.a. Hexe in Hänsel und Gretel, Tanzmeister in Ariadne auf Naxos, Podestà in La finta giardiniera). Er gastierte bei den Bregenzer Festspielen, beim Festival d’Aix-en-Provence und bei den Salzburger Festspielen (Pirzel in Zimmermanns Die Soldaten). Weitere Stationen waren 2013 sein Debüt an der Met als Valzacchi (Der Rosenkavalier) und 2016 an der Royal Opera Covent Garden als Iwan in Schostakowitschs Die Nase. Jüngst sang er die Titelpartie in Offenbachs Blaubart und Pluto (Orpheus in der Unterwelt) an der Komischen Oper Berlin, Aegisth (Elektra) und Herodes (Salome) an der Wiener Staatsoper, Wenzel (Die verkaufte Braut), Franz I. (Kreneks Karl V.), Herodes und Pendereckis Die Teufel von Loudun an der Bayerischen Staatsoper, den Schäbigen (Lady Macbeth von Mszenk) an der Opéra Bastille, den Hauptmann (Wozzeck), Rheingold-Mime und Herodes in Zürich, Monostatos und Valzacchi in München, Hauptmann in Toulouse, Herodes am Bolshoi-Theater sowie Dallapiccolas Il prigioniero in der Berliner Philharmonie. 2021 wurde er zum Bayerischen Kammersänger ernannt, 2022 zum Chevalier des Arts et des Lettres von Frankreich. Ausserdem erhielt er das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.
Lars Woldt, Doktor
Lars Woldt
Lars Woldt, geboren in Herford, studierte an der Hochschule für Musik in Detmold Komposition und Gesang. Nach ersten Engagements am Detmolder sowie am Tiroler Landestheater in Innsbruck war er von 2004-2010 Ensemblemitglied der Wiener Volksoper. Zuletzt gastierte er dort mit grossem Erfolg als Baculus (Der Wildschütz), wofür er mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis 2014 ausgezeichnet wurde. Von 2009-2011 gehörte er dem Ensemble der Wiener Staatsoper an, wo er u.a. als Waldner (Arabella), Rocco (Fidelio) und Fasolt (Das Rheingold) zu hören war. Als freischaffender Künstler gastiert er mittlerweile an den internationalen Opern- und Konzertbühnen. Zu den Höhepunkten der letzten Zeit gehören Fasolt und Osmin an der Pariser Bastille unter Philippe Jordan, Rocco am Theater an der Wien unter Nikolaus Harnoncourt, Kaspar (Der Freischütz) am Liceu in Barcelona und an der Barbican Hall in London mit dem London Symphony Orchestra und Sir Colin Davis sowie Daland (Der fliegende Holländer) an den Opern in Köln und Hamburg. In seiner Paraderolle des Baron Ochs (Der Rosenkavalier) gastierte er an den Staatsopern Hamburg, Stuttgart und Wien, der Nationaloper Budapest, der Royal Danish Opera Copenhagen und der Deutschen Oper am Rhein sowie in deren Gastspiel in Taipeh und zuletzt im Frühjahr 2014 in einer Neuproduktion beim Glyndebourne Festival. Lars Woldt ist ein ebenso gefragter Konzertsänger und trat mit Klangkörpern wie den Wiener Symphonikern, den Bamberger Symphonikern, den Stuttgarter Philharmonikern und dem Münchner Rundfunkorchester auf. Seit Oktober 2011 hat er zudem eine Professur für Gesang an der Hochschule für Musik Detmold inne. Geplant sind u.a. Strauss’ Cappriccio (La Roche) an der Pariser Opéra mit Ingo Metzmacher und Robert Carsen sowie am Theater an der Wien mit Bertrand de Billy und Tatjana Gürbaca.
Pavel Daniluk, 1. Handwerksbursch
Pavel Daniluk
Pavel Daniluk war Preisträger verschiedener nationaler und internationaler Wettbewerbe, u.a. des Russischen Schaljapin-Wettbewerbs und des Francisco-Viñas-Wettbewerbs in Barcelona. 1994 folgten sein europäisches (bei den Salzburger Festspielen) und sein amerikanisches Debüt (als Ruslan in Glinkas Ruslan und Ludmila in der Carnegie Hall). Seither ist er in Wien, Genf, Berlin, Moskau, St. Petersburg, Prag, Bern, Madrid, Lissabon, Stuttgart, Köln, Dublin, Athen, Mannheim, Brüssel, Liège und Nancy aufgetreten. Verschiedentlich gastierte er bei den Bregenzer Festspielen. Sein Repertoire umfasst die Basspartien in Macbeth, Rigoletto, Aida, Nabucco, Turandot, La bohème, Lucia di Lammermoor, Don Giovanni, Il barbiere di Siviglia, Don Carlo, Ein Leben für den Zaren, I due Foscari, Dvořáks Armida, Vanda sowie Rusalka, Boris Godunow, Die Zarenbraut, Kitesch und Der Dämon (beide nahm er auf CD auf), Der feurige Engel, Eugen Onegin, Iolanta, Pique Dame, Fürst Igor, Dargomyschskis Rusalka u.a. Im Konzert sang er Werke von Verdi (Requiem), Dvořák (Stabat Mater, Requiem), Janáček (Glagolitische Messe), Schostakowitsch (13. und 14. Sinfonie) und Gretschaninow (Demestwennaja Liturgia). Seit 1999 ist Pavel Daniluk am Opernhaus Zürich engagiert, wo er u.a. als Basilio, Raimondo, Fafner, Inquisitor, Dossifei, Gremin, Boris Timofeevitsch, Warlaam, Pimen Kontschak, Timur, Alvise, Sparafucile, Wesener und Titurel zu hören war. Jüngst gastierte er mit der 13. Sinfonie Babi Jar von Shostakovitch an der Opera di Firenze, als Wesener (Die Soldaten) am Teatro Real de Madrid und sang König René (Jolanthe) und Rocco (Fidelio) am Stadttheater Biel und Daland (Holländer) bei der Sommeroper Selzach.
Cheyne Davidson, 2. Handwerksbursch
Cheyne Davidson
Cheyne Davidson erhielt seine musikalische Ausbildung an der Case Western Reserve University, dem Cleveland Institute of Music und der Manhattan School of Music. Unmittelbar nach seinem Studium wurde er eingeladen, als Escamillo mit Peter Brooks Tragédie de Carmen auf Europa-, Japan- und Israel-Tournee zu gehen. Nach Auftritten in den USA und Europa war er ein Jahr lang Mitglied des IOS. Seit 1992/93 gehört er zum Ensemble des Opernhauses Zürich, wo er u.a. als Marcello, Schaunard und Benoît (La bohème), Escamillo (Carmen), Silvio (Pagliacci), Amfortas (Parsifal), Paolo Albiani (Simon Boccanegra), Donner und Gunther (Der Ring des Nibelungen), Alfio (Cavalleria rusticana), Faninal (Rosenkavalier), Lescaut (Manon Lescaut), Marco (Gianni Schicchi), Barone Douphol (La traviata), Enrico (Lucia di Lammermoor), Werschinski (Drei Schwestern), Eisenhardt (Die Soldaten), Chang (Das Land des Lächelns), als Le Bailli in Massenets Werther, Bill (Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny), Jonas Fogg (Sweeney Todd), Eurylochos (Die Odyssee) und als Benoît (La bohème) auftrat. Gastverträge führten ihn u.a. an die Opernhäuser Stuttgart, Köln und Hamburg, nach Basel und Luzern, an das Théâtre du Châtelet in Paris, die Oper Nancy, zur Hamburger Opernwoche, nach Belgrad und Budapest, zu den Bregenzer Festspielen und zum Classic Open Air Solothurn. Bei der ZKO Opera Box war er in Die schöne Galathée, in Il campanello di notte sowie in Il signor Bruschino zu erleben. Sein Salzburger Festspieldebüt gab er zu Pfingsten 2016 als Doc in der West Side Story; im Sommer 2016 war er ebenfalls in Salzburg in der Uraufführung von Thomas Adès’ Oper The Exterminating Angel zu erleben.
Martin Zysset, Der Narr
Martin Zysset
Martin Zysset ist in Solothurn geboren und aufgewachsen. Er liess sich im Fach Klarinette ausbilden und absolvierte gleichzeitig ein Gesangsstudium, das er mit Meisterklassen bei Ernst Haefliger und Edith Mathis abrundete. 1990/91 war er Mitglied des Internationalen Opernstudios und im gleichen Jahr Stipendiat des Migros-Genossenschaftsbundes sowie Preisträger des Pro Arte Lyrica-Wettbewerbs in Lausanne. Seit 1992 ist er ständiger Gast der Sommerspiele in Selzach. Am Opernhaus Zürich ist er seit 1991/92 engagiert. Hier konnte er sich ein breites Repertoire von buffonesken wie dramatischen Rollen erarbeiten, u. a. Pedrillo, Monostatos, Spoletta, Incredibile (Andrea Chénier), Jaquino, Kudrjasch (Katja Kabanowa), Cassio, Peppe, Alfred (Die Fledermaus), Spalanzani, Tamino, Tybalt, Dancaïro, Arturo, Knusperhexe, Brighella sowie die männliche Hauptrolle in Udo Zimmermanns Weisse Rose. Mit grossem Erfolg verkörperte er die Titelrolle Simplicius in der wiederentdeckten Operette von Johann Strauss, die auch auf CD und DVD veröffentlicht wurde. Gastspiele führten ihn durch ganz Europa, nach Shanghai sowie mit der Zauberflöte, Le nozze di Figaro, Fidelio und Tannhäuser (Walter) nach San Diego. Für den Bayerischen Rundfunk hat er die Lehár-Operette Paganini aufgenommen. Am Opernhaus Zürich sang er zuletzt u. a. Don Basilio (Le nozze di Figaro), Tschekalinski (Pique Dame), Triquet (Jewgeni Onegin), den Obereunuchen (Land des Lächelns), Goro (Madama Butterfly), Spoletta (Tosca), Dormont (La scala di seta), den weissen Minister (Le Grand Macabre), den Teufel/Erzähler (Die Geschichte vom Soldaten), den Dritten Juden (Salome), Schmidt (Werther) und Feri (Die Csárdásfürstin).
Gun-Brit Barkmin, Marie
Gun-Brit Barkmin
Gun-Brit Barkmin studierte Gesang in Rostock und Dresden und begann ihre Karriere als Ensemblemitglied der Komischen Oper Berlin, wo sie in zahlreichen Rollen zu erleben war, darunter Ghita (Der Zwerg), Jenůfa, die Gouvernante (The Turn of the Screw) und Marie (Wozzeck). Sie ist als Interpretin vielschichtiger Figuren wie Salome, Marie (Wozzeck), Katerina Ismailowa (Lady Macbeth von Mzensk) und Emilia Marty (Die Sache Makropulos) international gefragt. Mittlerweile ist sie mehreren renommierten europäischen Opernhäusern eng verbunden, etwa der Wiener Staatsoper, wo sie als Ellen Orford (Peter Grimes) debütierte und seither u.a. als Sieglinde (Die Walküre), Chrysothemis (Elektra) und Ariadne (Ariadne auf Naxos) zu Gast war. Eine zentrale Rolle ihres Repertoires ist Strauss’ Salome, die sie in Produktionen an der Wiener Staatsoper, dem Opernhaus Zürich, dem Prager Nationaltheater, der Oper Stuttgart, dem Staatstheater Wiesbaden sowie konzertant mit dem Boston Symphony Orchestra in der New Yorker Carnegie Hall und unter Charles Dutoit sowohl in Tokio als auch beim Verbier Festival 2017 gesungen hat. Im Herbst 2016 gab Gun-Brit Barkmin an der Oper Graz ihr Rollendebüt als Isolde (Tristan und Isolde). In der Saison 2017/18 sang sie ihre erste Brünnhilde (Götterdämmerung) mit dem Hong Kong Philharmonic Orchestra unter Jaap van Zweden im Rahmen von deren Ring-Gesamtaufnahmeprojekt für Naxos. In den vergangenen Spielzeiten war sie u.a. als Sieglinde (Die Walküre) unter Jeffrey Tate und Cornelius Meister und als Regan (Lear) unter Franz Welser-Möst bei den Salzburger Festspielen zu erleben, als La figlia (Cardillac) unter Fabio Luisi in Florenz sowie als Eleonor (Karl V) und als Marie unter Hartmut Haenchen an der Bayerischen Staatsoper. In Zürich stand sie 2012 und 2016 als Katerina Ismailowa (Lady Macbeth von Mzensk) sowie 2015 als Marie auf der Bühne.
Irène Friedli, Margret
Irène Friedli
Irène Friedli ist in Räuchlisberg, Schweiz, aufgewachsen und schloss an der Musik-Akademie Basel mit dem Solistendiplom ab. Die Altistin ergänzte ihre Studien in der Interpretationsklasse von Dietrich Fischer-Dieskau in Berlin, nahm an Meisterkursen von Brigitte Fassbaender teil und bildete sich bei Helen Keller weiter. Sie gewann zahlreiche Preise bei internationalen Liedwettbewerben. Seit 1994/95 ist sie Ensemblemitglied des Opernhauses Zürich. Hier sang sie u.a. 2. und 3. Dame (Die Zauberflöte), Mercédès (Carmen), die Titelrolle in Ravels L’Enfant et les sortilèges, Elsbeth in Schlafes Bruder (UA), Lily in Harley (UA), Annina und Flora (La traviata), Flosshilde (Rheingold, Götterdämmerung), Marcellina (Le nozze di Figaro), Emilia (Otello), Lucia (Cavalleria rusticana), Olga in Peter Eötvös’ Drei Schwestern, Marthe in Gounods Faust, Margret (Wozzeck), Lovis in Ronja Räubertochter von Jörn Arnecke, Blumenmädchen und Stimme aus der Höhe (Parsifal), Gertrud/Knusperhexe (Hänsel und Gretel), Clotilde (Norma), Mutter/Andermutter (Coraline), Kartenaufschlägerin (Arabella) und Amme (Boris Godunow). In der Uraufführung der Familienoper Odyssee verkörperte sie Eurykleia/Mutter und in Girl with a Pearl Earring Tanneke. 2012 gastierte sie an der Opéra Bastille in Paris. Zuletzt trat sie in Zürich u.a. als Herzkönigin in Alice im Wunderland, Filipjewna in Jewgeni Onegin, Tisbe in La Cenerentola, Miss Bentson in Lakmé, Frau Waas/Frau Mahlzahn in Jim Knopf, Die Oberköchin in Amerika und Ninetta in I vespri siciliani auf.