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Alice im Wunderland

Märchenoper von Pierangelo Valtinoni (*1959) für Kinder ab 7 Jahren
Libretto von Paolo Madron nach «Alice in Wonderland» von Lewis Carroll
Dramaturgische Mitarbeit: Andrea Faschina
Deutsche Fassung von Hanna Francesconi
Auftragswerk des Opernhauses Zürich

In deutscher Sprache mit deutscher Übertitelung. Dauer ca. 2 Std. inkl. Pause nach ca. 50 Min.

Gut zu wissen

Aufgrund der überwältigenden Nachfrage veranstalten wir am Montag, 2. Januar um 18.30 Uhr eine Zusatzvorstellung

Trailer «Alice im Wunderland»

Pressestimmen

«Die neu komponierte Musik von Pierangelo Valtinoni ist wunderbar melodiös und untermalt das temporeiche Bühnengeschehen wie Filmmusik. Es ist ein Genuss dem Orchester zuzuhören.»
SRF Kultur, 14.11.22

«In Bann hält, mit grosser musikalischer und szenischer Fantasie angerichtet, die Poesie und Turbulenz des Bühnengeschehens.»
Tagblatt Zürich, 16.11.22

«Mega cool!»
Emma (10) war für den Züri-Tipp an der Premiere​​​​​​​

Audio-Einführung für Kinder


Interview


Auf dem Weg zu sich selbst

Die Uraufführung unserer neuen Familienoper «Alice im Wunderland» war ursprünglich für November 2020 vorgesehen – doch die Corona-Pandemie machte unsere Planung zunichte. Zwei Jahre später bringen wir die Produktion endlich heraus, Premiere ist am 12. November. Mit der Regisseurin Nadja Loschky haben wir über die Faszination des Stoffes gesprochen, der schon so viele Künstlerinnen und Künstler inspiriert hat

Nadja, wann bist du der Figur Alice und ihrer Reise ins Wunderland zum ersten Mal begegnet?
Als Kind habe ich den wunderbaren alten Zeichentrickfilm von Walt Disney gesehen. Besonders beeindruckt hat mich damals die lilafarbene Katze, an die kann ich mich immer noch sehr gut erinnern!

Was gefällt dir heute an diesem Stoff?
Ich finde toll, dass diese Geschichte sowohl für Kinder als auch für Erwachsene interessant ist. Kinder sehen sicher andere Aspekte darin als Erwachsene, aber die Geschichte funktioniert für beide gleichermassen – das ist wirklich ein universaler Stoff! Ausserdem erforsche ich in meinen Arbeiten grundsätzlich gerne doppelte Realitäten, Traumzustände und surreale Welten, und da kommt mir dieser Stoff natürlich sehr entgegen.

Hast du dich während der Vorbereitung deiner Inszenierung mit anderen Bearbeitungen des Stoffes beschäftigt und alle Filme angeschaut, die es so gibt?
Nein, gar nicht. Den Film von Tim Burton habe ich zwar angefangen, dann aber nach einer halben Stunde wieder aufgehört, weil ich gemerkt habe, dass mich ganz andere Aspekte der Geschichte interessieren und mich der Film gar nicht inspiriert. Wir sind dann zusammen mit meinem Team sehr schnell auf eine eigene Bildwelt gekommen und hatten unsere eigenen Fantasien.

Was fasziniert dich an Alice?
Zu Beginn ist Alice erst mal ganz das Kind ihrer Eltern: Sie ist sehr verwachsen mit den Regeln, die in ihrem Elternhaus gelten. Das spürt man in der Erzählung von Lewis Carroll auch an ihrem etwas gestelzten Tonfall. Am Anfang habe ich mich beim Lesen daran gestossen und mich gefragt, warum dieses Mädchen eigentlich ständig wie eine 50-jährige Gouvernante redet. Dann ist mir eingefallen, dass ich – laut den Erzählungen meiner Mutter – als kleines Mädchen auch eine sehr altkluge Phase hatte, in der ich Wörter benutzt habe, die ich irgendwo aufgeschnappt hatte, aber noch gar nicht richtig anwenden konnte. So ähnlich ist das bei Alice auch, und das hat auch etwas sehr Liebenswertes. Im Laufe der Geschichte findet Alice immer mehr zu sich selbst und entwickelt ein starkes Selbstbewusstsein, sie lernt sich zu behaupten, wird immer frecher und durchbricht mehr und mehr die Konventionen. Sie entwickelt ihren eigenen Blick auf die Welt und geht zusehends experimenteller damit um. Das mag ich sehr.

In was für einer Welt spielt Alice im Wunderland in deiner Inszenierung? Hat die Entstehungszeit der Erzählung – sie ist 1865 erstmals erschienen – bei der Entwicklung des Bühnenbildes und der Kostüme für dich eine Rolle gespielt?
Die Welt des 19. Jahrhunderts fasziniert mich sehr. Das war eine Zeit, die von Dunkelheit und Strenge geprägt war und für Kinder, gerade diejenigen aus reicheren Haushalten, nicht wirklich Platz hatte. Ein Kind musste vor allem lernen, hatte sich zu benehmen und durfte auf keinen Fall stören. Alice’ Realität ist geprägt von Zucht, Ordnung und Repression. Es gibt dort ein sehr starkes Regelwerk, das ein Kind schier erdrücken kann. Das war interessant für uns als Ausgangspunkt, weil man dazu eine tolle Gegenwelt entwerfen kann. Dieser ganze Stoff atmet eine andere Zeit, und diese Zeit haben wir im Kostüm und im Bühnenbild aufgenommen. Die Parallelen zu unserer heutigen Welt, in der die Eltern keine Zeit für ihre Kinder haben, weil sie permanent mit ihrem Smartphone oder dem Computer beschäftigt sind, ergeben sich dann von ganz allein.

Und im Wunderland werden diese Regeln ausser Kraft gesetzt?
Im ersten Moment könnte man denken, im Wunderland ist alles nur noch schön und angenehm und genau so, wie Kinder sich das erträumen würden. Bei genauerer Betrachtung ist das aber ünerhaupt nicht so! Alice trifft nämlich im Wunderland auf sehr viele ziemlich unsympathische Figuren, die ihr erstmal Angst machen. Die Herzkönigin zum Beispiel möchte ja viele ihrer Untertanen sofort köpfen lassen. Das ist teilweise gruselig, aber auch faszinierend und vor allem herausfordernd. Alice erlebt im Wunderland die Fülle des Lebens in verzerrter Form; alles wächst ins Monströse, Groteske, Humorvolle. Sie fällt von einer Emotion in die andere, wächst aber daran. Es ist toll, zu beobachten, wie es irgendwann nicht mehr die Situationen sind, die Alice kontrollieren, sondern wie sie selbst Oberwasser gewinnt und beginnt, die bedrohlichen Situationen mit ihrem Witz zu unterwandern. Darin zeigt sich ein Adoleszenzprozess, der nicht nur Kinder betrifft, sondern auch für alle Erwachsenen, die dafür offen sind, immer weiterläuft.

Was sind das für Figuren, denen Alice im Wunderland begegnet?
Die Wunderland-Figuren sind allesamt Zerrspiegel von Figuren, die sie aus dem realen Leben kennt. Ihre Mutter zum Beispiel wird im Wunderland zur Herzkönigin, eine Dame, die diese ganze Welt okkupiert, die eine grosse Faszination hat, aber auch etwas Abschreckendes. Die Butler werden zu Zwiddeldei und Zwiddeldum, zwei in der Realität im übertragenen Sinn ziemlich aufgeblasene Typen, die sich im Wunderland dann zu riesigen Kugeln aufblähen und kaum noch bewegen können. Die Gouvernante, die Alice in der realen Welt Unterricht gibt, wird zur verrückten Herzogin. Das weisse Kaninchen ist in der Realität Alice’ heissgeliebter Stoffhase, der ihr abhandenkommt, eine schreckliche Odyssee durch den Haushalt durchläuft, schliesslich in der Waschmaschine landet und als grosser, «realer» Hase wieder rauskommt. Er wird sie dann durch die Welt des Wunderlandes begleiten. In den Kostümen von Irina Spreckelmeyer wird man immer etwas entdecken können, was die Wunderland-Figur mit der Figur aus Alice’ Realität verbindet.

Was machst du anders, wenn du für Kinder inszenierst? Worauf kommt es an?
Ich habe ja schon einige Kinderopern inszeniert, hier in Zürich die Schatzinsel und vorher an der Komischen Oper Berlin Mikropolis. Mir hat das immer grossen Spass gemacht. Wenn man den Stoff Alice im Wunderland für Erwachsene erzählen würde, würde sicher das Psychoanalytische eine viel wichtigere Rolle spielen. Das würde aber vor allem das Stück selbst betreffen. In der Umsetzung der Szenen arbeite ich genauso, wie ich das bei einer Oper für Erwachsene machen würde. Inzwischen bin ich als Regisseurin sehr stark auf die grossen, tragischen Stoffe gebucht, und da macht es mir grosse Freude, ein Stück zu inszenieren, das auch das Abgründige beinhaltet, genauso aber auch die Momente, in denen Groteske, Leichtigkeit und Komik im Vordergrund stehen.

Am Schluss des Stückes kommt Alice wieder in der realen Welt an; was hat sich nach dieser Reise für sie verändert?
Ich glaube, sie hat durch ihre Erfahrungen im Wunderland gelernt, dass dieses Wunderland überall sein kann – man muss nur die richtige Tür aufmachen. Wie sagt Erich Kästner? «Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.»

Das Gespräch führte Beate Breidenbach
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 96, Oktober 2022.
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Sandra Hamaoui

Sandra Hamaoui singt die Titelrolle in «Alice im Wunderland». Im Interview erzählt sie aus dem Nähkästchen.

Aus welcher Welt kommen Sie gerade?
Aus dem Wunderland!

Worauf freuen Sie sich in der Neu­ produktion Alice im Wunderland? 
Man spürt gerade eine ganz besondere Energie auf den Proben – nicht zuletzt deswegen, weil wir nach dieser Zwangspause endlich wieder auf der Bühne stehen dürfen! Ich freue mich sehr auf diese Produktion, weil sie ganz auf theatrale Mittel setzt und auf jeden Einzelnen von uns, egal ob Sängerin, Schauspieler oder Statistin – es geht um die Menschen auf der Bühne und um die Beziehungen der Figuren zueinan­der. Es ist ein Tribut an die Bühnen­kunst, an das Live­-Erlebnis Theater mit all seiner Magie.

Welches Bildungserlebnis hat Sie be­sonders geprägt?
Ich musste erst lernen, meiner inneren Stimme und meinem Instinkt zu ver­trauen. Viele der Entscheidungen, die ich in einem frühen Stadium meiner Karriere getroffen habe, waren vielleicht ein bisschen unkonventionell, aber sie haben es mir erlaubt, meinen eigenen Weg zu gehen. Ausserdem hatte ich grosses Glück mit meinen Mentoren – ich arbeite nun schon seit über 10 Jahren mit demselben Team. Ohne meinen Coach, Joan Dornemann, und meinen Gesangslehrer, Cesar Ulloa, wäre ich gar nichts.

Welches Buch würden Sie niemals weggeben?
Eine sehr alte Ausgabe von Charles Baudelaires Les Fleurs du mal. Dieses Buch ist schon an viele Orte mit mir gereist, und ich habe es schon viele, viele Male gelesen.

Welche CD hören Sie immer wieder?
Pink Floyd höre ich seit meiner Kind­heit. Generell mag ich es, mich mit ganz unterschiedlichen Musik­-Genres zu beschäftigen, wenn ich nicht im Theater bin; das finde ich sehr erfrischend. 

Welchen überflüssigen Gegenstand in Ihrer Wohnung lieben Sie am meisten?
Getöpfertes und Keramik! Ich hatte nie vor, so viel davon zu besitzen; aber ich liebe einfach die Flohmärkte in Paris und komme jedes Mal mit mindestens drei neuen Vasen oder Schüsseln zu­rück...

Mit welchem Künstler würden Sie gerne essen gehen, und worüber würden Sie reden?
Kann ich auch zwei auswählen...? Monet und Rothko! Verschiedene Perspektiven der bildenden Kunst inspi­rieren mich ausserhalb der Opern­-Welt sehr, und Malerei liebe ich besonders. Ich würde während des Essens wohl selbst gar nicht viel sagen, sondern gebannt dem grossen Wissen solch ein­drucksvoller Dinner­-Gäste lauschen.

Nennen Sie drei Gründe, warum das Leben schön ist!
Da gibt es sicher Millionen... gerade im Moment geniesse ich den Farbwechsel in der Natur; die Tatsache, dass es Musik gibt und wir sie live zum Klingen bringen können; und die vollkommene Schönheit der Liebe.



Interview


Frei von Logik und Moral

Der italienische Komponist Pierangelo Valtinoni hat mit «Alice im Wunderland» nach dem «Zauberer von Oz» zum zweiten Mal eine Familienoper für das Opernhaus Zürich geschrieben. Im Gespräch erzählt er, was aus seiner Sicht eine gute Familienoper ausmacht und warum es nicht einfach für ihn war, als Komponist seinen eigenen Weg zu gehen

Pierangelo, du hast bereits vier Kinderopern geschrieben; die erfolgreichste bisher war Pinocchio – er wurde in viele Sprachen übersetzt und hat die Kinderherzen von Berlin und Venedig über Moskau bis Hongkong erobert. Warum hast du dir nun Lewis Carrolls Alice im Wunderland ausgesucht?
Vor Alice schrieb ich neben Pinocchio die Schneekönigin und den Zauberer von Oz, der ja hier in Zürich uraufgeführt wurde. In allen drei Stücken ist die Hauptfigur auf der Suche nach etwas oder jemandem: Pinocchio sucht seinen Vater, Gerda sucht Kai, und Dorothy sucht ihr Zuhause. In Alice im Wunderland ist das ein bisschen anders – Alice ist vor allem auf der Suche nach sich selbst. Das hat mich sofort fasziniert, neben der Tatsache, dass diese Geschichte so viel Nonsens enthält und so wunderbar Moral-frei daherkommt. Es war allerdings nicht so ganz einfach, diesen Stoff in Musik zu setzen.

Warum?
Die Geschichte besteht aus Episoden, die sich nicht aufeinander beziehen und genauso gut auch in einer anderen Reihenfolge erzählt werden könnten. Es gibt keine Logik. Das ist für die Musik – für meine Musik – ein Problem: Sie kann sich nicht ohne eine gewisse innere Logik weiterentwickeln. Ich musste also ein System erfinden, einen Trick, um der Musik zu einer Logik zu verhelfen, während der Text unlogisch blieb. Die Lösung war für mich dann die Form der Variation: Der Schluss des ersten Aktes und der Epilog entsprechen dem Prolog. Die Idee ist immer dieselbe, aber sie wird variiert, und dem Zuhörer ist das vielleicht gar nicht bewusst. Für mich ist es wichtig, dass in einer Oper, die 90 Minuten dauert, die Musik sich so entwickelt, dass die einzelnen Teile nicht einfach austauschbar sind. Sonst empfinde ich das nicht als organisch.

Im Wunderland passieren ja in der Tat vor allem Dinge, die die Logik, die Alice bis dahin gewohnt war, auf den Kopf stellen...
Ja, denken wir zum Beispiel an die Grinsekatze: Alice sagt etwas, und die Katze sagt etwas vollkommen anderes, was überhaupt keinen Bezug hat zu dem, was vorher gesagt wurde. Alice geht ja durchaus bewusst ins Wunderland – ohne zu wissen, was sie dort erwartet –, weil sie sich in ihrer Welt, der Welt der Erwachsenen, ganz schrecklich langweilt. Im Verlauf dieser Reise wird Alice immer selbstbewusster, und schliesslich traut sie sich sogar, der Herzkönigin zu widersprechen. Es ist also auch eine Geschichte über das Erwachsenwerden.

Alice im Wunderland ist ein Stoff, der schon sehr oft bearbeitet wurde; hattest du bei der Stoffwahl keine Angst, dass deine neue Oper mit all den schon existierenden Versionen verglichen wird?
Doch, ein bisschen schon. Ich habe mich bemüht, jegliche Referenz an die Filme oder andere Bearbeitungen des Stoffes, die ich gesehen habe, zu vermeiden. Es gibt ja auch eine Oper nach diesem Stoff von Unsuk Chin, aber das ist eher eine Oper für Erwachsene und etwas ganz anderes. Zusammen mit meinem Librettisten Paolo Madron habe ich versucht, einen eigenen, originellen Umgang mit dem Stoff zu finden, und hoffe natürlich, dass das auch so wahrgenommen werden wird.

Was kann eine Oper deiner Meinung nach besser als ein Film?
In der Oper ist es immer die Musik, die die Situation bestimmt. Wenn ich den Text aus meinen Opern entfernen würde, würde das an der Musik nichts ändern. Und die Musik kann zwar die Geschichte vielleicht nicht so genau erzählen, ist aber immer ganz direkt emotional erfahrbar und zumindest für mich viel poetischer.

Du hast mir von weiteren Aufträgen für Kinderopern erzählt, die dich in Zukunft erwarten; was gefällt dir daran, für Kinder zu komponieren?
Es ist für mich kein Unterschied, ob ich Musik für Kinder oder für Erwachsene schreibe. Meine musikalische Sprache ändert sich nicht. Für mich besteht die Herausforderung einer Kinderoper vor allem darin, die Kinder nicht zu langweilen. Ich bemühe mich deshalb, mit unterschiedlichen Emotionen zu arbeiten. Eine langsame Arie, die eine Viertelstunde dauert, funktioniert in einer Kinderoper nicht. Wenn ich einen Auftrag für eine Oper für Erwachsene bekommen würde, dann würde ich das gerne machen. Aber im Moment habe ich mit Kinderopern sehr viel Erfolg; Alice war auch am Hongkong Arts Festival zu sehen. Ich habe das Gefühl, dass ich meine Fantasie sehr viel mehr ausleben kann, wenn ich für Kinder schreibe. Ich fühle mich dabei sehr frei.

Dir ist ja die Kommunikation mit dem Publikum sehr wichtig, und Kinder reagieren oft viel direkter als Erwachsene.
Als Komponist habe ich – wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen – verschiedene Phasen durchlaufen. Als junger Mensch habe ich mich sehr an der Avantgarde orientiert und im Stil Ligetis komponiert, was mir auch durchaus gelungen ist. Aber dann bin ich an einen Punkt gekommen, an dem ich nicht mehr verstanden habe, warum ich Musik schreiben soll, die mich persönlich nicht zufriedenstellt. Die zeitgenössische Musik erzählt – so ist jedenfalls mein Eindruck – ausschliesslich von dunklen, hässlichen Dingen, von Albträumen, vom Tod. Das hat mit der Art ihrer musikalischen Sprache zu tun. Mir hat das überhaupt nicht entsprochen. Also habe ich mich entschieden, anders zu komponieren. Das war riskant. Aber es war mir lieber, als weiter Musik zu schreiben, mit der ich mich nicht identifizieren konnte.

Bist du für diese Entscheidung von deinen Kolleginnen und Kollegen kritisiert worden?
Ja, durchaus. Meine Musik steht ja schliesslich überhaupt nicht im Einklang mit der Musik der Avantgarde. Und am Anfang war es auch nicht ganz einfach für mich. Inzwischen ist mir das egal. Für mich ist wichtig, dass man ehrlich zu sich selbst ist und seinen eigenen Weg geht.

Du hast mal gesagt, du schreibst Musik, um verstanden zu werden...
Es geht mir dabei aber nicht um den Applaus. Ich schreibe einfach so, wie es mir gefällt. Ich möchte mit meiner Musik kommunizieren, Emotionen bei den Menschen hervorrufen. Und das geht am besten, wenn die Musik, die ich schreibe, auch bei mir selbst Emotionen erzeugt.

Für die Kommunikation mit dem Publikum eignet sich Theatermusik natürlich sehr gut. Man merkt deiner Musik an, dass du das Theater liebst, deine Musik ist sehr gestisch und immer für die Bühne gedacht.
Man hat mir oft gesagt, dass man auch in meiner Instrumentalmusik das Theater spürt. Ja, ich liebe das Theater.

Kommen wir noch einmal zurück auf Alice im Wunderland. Hier gibt es viele klar erkennbare Motive, die den einzelnen Figuren zugeordnet sind; die Katze zum Beispiel hat ein prägnantes Klarinettenmotiv. Hast du dich von Prokofjews Peter und der Wolf inspirieren lassen?
Ja, das habe ich. Natürlich hätte ich auch ein anderes Instrument wählen können. Aber die Klarinette hat wunderbar für die Katze funktioniert! Und für die Katze wollte ich ein besonders einprägsames Instrument mit einem charakteristischen Motiv verwenden, weil die Katze eine Figur ist, die nur spricht und nicht singt. Deshalb musste ihre Musik umso besser erkennbar sein.

Sehr einprägsam ist auch das orientalische Motiv der Raupe...
Darauf bin ich gekommen, weil es bei Lewis Caroll heisst, dass die Raupe Wasserpfeife raucht. Da war so ein Motiv natürlich naheliegend.

Daneben scheint es in deiner Musik auch den Einfluss des Jazz und der Unterhaltungsmusik zu geben.
Als ich beschloss, mich von der Avantgarde abzuwenden, habe ich auch entschieden, dass ich mich von jeder Art Musik beeinflussen lassen möchte, die ich als Jugendlicher gehört habe, und das waren neben klassischer Musik eben auch Jazz und Pop. Für mich ist die sogenannte Unterhaltungsmusik nicht grundsätzlich weniger wert als eine Sinfonie von Beethoven. Deshalb finden sich in meiner Musik die unterschiedlichsten Einflüsse.

Auch Tanzrhythmen spielen in deiner Musik eine wichtige Rolle.
Da habe ich mich ein bisschen von Bach inspirieren lassen, was sicher auch mit meiner Vergangenheit als Organist zu tun hat. Bach schreibt zum Beispiel Menuette, deren Rhythmus klar erkennbar ist, die aber viel komplexere Strukturen haben als ein Menuett, das als Tanzmusik gedacht ist. Bei mir gibt es Passagen, in denen man sofort den Walzerrhythmus erkennt, die aber in ihrer inneren Struktur über einen Walzer hinausweisen. Solche Tanzrhythmen – es gibt noch viele weitere in Alice im Wunderland – sind deshalb wichtig für mich, weil sie direkt in den Körper gehen.

Siehst du eigentlich die Szenen vor dir, wenn du sie komponierst?
Ja, ich sehe alles sehr konkret vor mir. Aber ich kann das, was ich beim Komponieren gesehen habe, dann auch wieder vergessen. Leichter wird es für mich, wenn mir das, was sich die Regisseurinnen und Regisseure ausgedacht haben, gefällt. Bisher haben mir bis auf eine Aufführung eigentlich alle Inszenierungen meiner Kinderopern gefallen. Ich bin also guten Mutes, dass das auch bei unserer Alice wieder so sein wird, und ich freue mich sehr darauf.

Das Gespräch führte Beate Breidenbach
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 96, Oktober 2022.
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