0/0

#Entscheide dich!

Ein Musiktheaterprojekt von und mit Jugendlichen nach Motiven von Hans Christian Andersens Märchen Die kleine Meerjungfrau

Die Hashtag-Projekte des Opernhauses Zürich sind ein zentraler Bestandteil unserer Vermittlungsarbeit und das intensivste und umfangreichste Angebot, um Jugendliche mit Musiktheater und Tanz in Verbindung zu bringen. Über den Zeitraum eines ganzen Schuljahres haben Jugendliche einer Abschlussklasse die Chance, ein eigenes, abendfüllendes Stück zu erarbeiten und es am Ende auf unserer Studiobühne öffentlich zu präsentieren. Ein erfahrenes Künstlerteam aus den Bereichen Tanz, Theater und Musik begleitet die Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg von der Stückentwicklung über die szenisch-choreografische Ausarbeitung bis zur Premiere.

Für Jugendliche an der Schwelle zum Erwachsenenleben wie für künstlerisch arbeitende Menschen gilt: Ständig sind wir gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Ständig müssen wir uns aus einer Fülle von Möglichkeiten für oder gegen etwas entscheiden und sind mit der Frage konfrontiert, ob die Impulse, denen wir folgen, weiterführend und tragfähig sind. Getroffene Entscheidungen sind folgenreich und können Leben und Persönlichkeit nachhaltig verändern.

Die kleine Meerjungfrau in Hans Christian Andersens berühmtem Märchen trifft eine folgenreiche Entscheidung: Sie will ihre Schwanzflosse ablegen und die Welt des Wassers verlassen, um an Land glücklich zu werden. Angeregt durch das Andersen-Märchen, das auch Thema der Ballettneuproduktion Of Wind, Light and Waters in der Saison 2024/25 ist, kreist das Projekt #Entscheide dich! um das Thema lebensverändernder Entscheidungen, die womöglich nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die kleine Meerjungfrau opfert viel, um ihre grosse Sehnsucht Realität werden zu lassen und Teil einer unbekannten, fremden Welt zu werden. Wie weit gehst du für die Verwirklichung deiner Träume? Wo sind deine Grenzen? Was bist du bereit, für deine Träume zu opfern? Lohnt sich der Preis, den du dafür zahlen musst? Um diese Fragen wird es im neuen Theater- und Tanzstück gehen, das im Juni 2025 mit und von Jugendlichen auf die Bühne kommt.

Termine & Tickets

Juli 2025

Do

03

Jul
19.30

#Entscheide dich!

Premiere, Studiobühne

Fr

04

Jul
19.30

#Entscheide dich!

Ausverkauft
Studiobühne

Sa

05

Jul
19.30

#Entscheide dich!

Ausverkauft
Studiobühne

So

06

Jul
19.30

#Entscheide dich!

Ausverkauft
Studiobühne

Di

08

Jul
10.00

#Entscheide dich!

Keine Tickets erhältlich
Studiobühne

19.30

#Entscheide dich!

Ausverkauft
Studiobühne

Gut zu wissen

Doku-Trailer «#takeoff»

Für das letztjährige Projekt #Takeoff haben sich drei Gruppen Jugendlicher und junger Erwachsener unter der Leitung von drei Choreograf:innen inspiriert vom Ballett «Les Noces» mit dem Übergang von der Jugend zum Erwachsenenleben beschäftigt.


Hintergrund


Das Leben ist kein Candy-Land

Berufslehre oder Gymnasium? Ist die schöne Zeit vorbei? Diese Fragen beschäftigen die Jugendlichen aus zwei Sekundarschulklassen in Embrach gerade am meisten. Im Education-Projekt «Entscheide dich!» setzen sie sich auf künstlerische Weise damit auseinander. Ein Probenbesuch.

Das Einzugsgebiet des Opernhauses Zürich ist grösser, als man es sich als Stadtmensch zuweilen denkt. Der Weg zu einer Probe für unser diesjähriges «Hashtag»- Projekt führt zunächst mit der S-Bahn an den Flughafen und von dort mit dem Bus durch ländliches Gebiet nach Embrach. Es steigen immer mehr Jugendliche zu. Ob sie es sind, die am Education-Projekt teilnehmen? Unter dem #-Titel organisiert die Theaterpädagogik des Opernhauses Zürich jährlich ein gross angelegtes Projekt für Schulklassen aus dem Kanton und der Stadt Zürich. Der Prozess beginnt jeweils dort, wo die Jugendlichen zur Schule gehen, und mündet in einer intensiven sechswöchigen Endprobenzeit auf der Studiobühne des Opernhauses, wo auch in diesem Juli mehrere Vorstellungen zu sehen sein werden. Das Projekt heisst diesmal #Entscheide dich!

An der Haltestelle Gemeindehaus Embrach angekommen, biegen die meisten Jugendlichen dorthin ab, wo sie ihre Tage normalerweise verbringen: in die Schule. Im hellen und neu riechenden Gemeindesaal ist es noch ruhig. Neben unserer Theaterpädagogin Thirza Möschinger sind bereits zwei der Projektleiter da, die beide Simon heissen und für die musikalische und choreografische Erarbeitung verantwortlich sind. Die beiden besprechen die anstehende Probe. Geplant ist ein allgemeiner Teil, in dem die ganze Gruppe an Grundübungen arbeitet, und ein zweiter Teil, in dem konkret das Stück geprobt wird, das im Juli auf die Bühne kommen soll.

Einen gewichtigen Teil des gesamten Prozesses haben die Schülerinnen und Schüler bereits hinter sich. Den Stoff, den sie in Zürich auf die Bühne bringen, haben sie gemeinsam mit dem Schreibcoach Andreas Sauter entwickelt. Dieser ist auf der heutigen Probe nicht anwesend, erzählt aber am Telefon, wie der Text entstanden ist: Die «Hashtag»-Projekte sind jeweils lose an eine Oper oder ein Ballett des Opernhauses angelehnt. In diesem Fall sind es die Märchen von Hans Christian Andersen, die in Kim Brandstrups Ballett Of Light, Wind and Waters vorkommen. Die beiden Schulklassen aus Embrach haben sich mit Andersens Märchen von der Kleinen Meerjungfrau beschäftigt: Dieses Fantasiewesen verliebt sich bekanntlich in einen menschlichen Prinzen, wünscht sich ein Leben mit ihm und trifft dafür eine Entscheidung mit fatalen Folgen. Eine Adaption dieses Stoffes war aber nicht das Ziel des gemeinsamen Schreibworkshops, erzählt Andreas Sauter. Es schälten sich vielmehr bald die Träume, Forderungen und Sehnsüchte der Schülerinnen und Schüler selbst heraus. Ein zentrales Thema des Texts ist deshalb der enorme Druck geworden, den die Jugendlichen gerade verspüren, wenn sie sich im kommenden Jahr entweder für das Gymnasium oder eine Berufslehre entscheiden müssen.

Kurz vor Probenbeginn hat sich der Vorraum des Gemeindesaals hörbar gefüllt. Ungebündelte jugendliche Energie liegt in der Luft, aus dem Sprachgewirr sticht immer wieder eine laute Stimme hervor, die so etwas wie Affengeräusche nachahmt. Doch als die beiden Schulklassen den Saal betreten, findet diese Energie überraschend schnell einen Fokus. Es gibt in diesem Moment weder eine Diskussion über Sinn und Zweck dieses Projekts, noch muss irgend jemand daran erinnert werden, das Handy wegzulegen. Einer der beiden Simons – sie leiten diese Probe gemeinsam und mit viel positivem Engagement – sagt: «Wir gehen in den Kreis», und die Arbeit beginnt. In den ersten Übungen geht es um Reaktion. Die Gruppe muss im Raum ankommen, sich wahrnehmen, eins werden. Allmählich schliessen sich die unregelmässigen Lücken im Kreis – und plötzlich ein lauter Schlag: Über vierzig Jugendliche klatschen in die Hände, und zwar synchron. Nicht beim vierten Anlauf, sondern auf Anhieb. Das ist beeindruckend und zeugt von dem hohen Aufmerksamkeitslevel, das in diesem Raum von Beginn an herrscht. Überhaupt funktioniert in diesem ersten Teil der Probe alles sehr gut, was mit Rhythmus zu tun hat, mit Puls und direkter Körperlichkeit. Nicht umsonst heisst eines der bekanntesten musikalischen EducationProjekte, 2003 in Berlin durchgeführt und verfilmt, Rythm Is It!. Etwas mehr Unsicherheit ist zu spüren, wenn die Stimme dazukommt, dieses sehr persönliche Instrument, das sich bei jedem und jeder Einzelnen in diesem Raum schon ganz unterschiedlich anhört, wenn es nur darum geht – «eins, zwei, eins, zwei...» – durchzuzählen und den Kreis in verschiedene Gruppen aufzuteilen. Das anschliessende gemeinsame Summen klingt zunächst wie ein avantgardistisches Viertelton-Cluster, bevor es sich allmählich auf einer gemeinsamen Tonhöhe einschwingt. Und nach einigem Probieren erklingt sogar ein Dur-Dreiklang. Das sei ihnen heute zum ersten Mal gelungen, erzählt Simon, der Musiker, später und freut sich sichtlich.

Nach der Pause ist dann erst einmal Logistik gefragt. Die Jugendlichen sollen jetzt in einzelnen Gruppen selbständig arbeiten und verteilen sich ins Foyer, auf die Bühne und in die Nebenräume des Gemeindesaals. Eine Lehrperson hat eine Schachtel mit Manuskripten mitgebracht. «Entscheid di eifach! oder Willkommen im Candy-Land!» steht als Titel vorne drauf. Es ist der Text, den die Schülerinnen und Schüler zusammen mit dem Coach Andreas Sauter entwickelt haben. Der Text ist so angelegt, dass er chorisch gesprochen werden kann. Im Zentrum stehen also nicht einzelne Figuren, sondern Schwärme, bei denen potenziell alle Schülerinnen und Schüler den Lead übernehmen können. Diese Gruppendramaturgie war Andreas Sauter, der dem Text den finalen Schliff gegeben hat, wichtig. Mit den Figuren des Andersen-Märchens hat das Stück nichts mehr zu tun. Die fantastischen Figuren begeben sich hier auf eine gemeinsame Reise voller Gefahren und Entscheidungen – die anders als die der Kleinen Meerjungfrau aber kein trauriges Ende findet, sondern positiv ausgeht. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Auf der Probe memorieren «Waisenmädchen», «Kannibalen» und «normale Jugendliche» ihre Texte zunächst in Kleingruppen, bevor sie ganze Szenen zusammensetzten – und man merkt, dass hier noch viele Wiederholungen nötig sind, damit der Text an Lebendigkeit und Bildhaftigkeit gewinnt. In einer Gruppe wird gerade gar nicht geprobt. Hier stellt sich nun doch die Sinnfrage: «Warum soll gerade ich diesen Text sprechen? Ich will das nicht…» Mehr Drive ist bei der Gruppe vorhanden, die an einer Choreografie arbeitet: Während sie die Bewegungsabläufe wiederholt und präzisiert, ist sie laut am Zählen, denn für die Musik zum Projekt wird vorerst noch im Saal nebenan geprobt. Dort hat sich eine grosse Gruppe hinter den verlockenden DJ-Pults verschanzt, doch der Musikalische Leiter versammelt die Jugendlichen zunächst einmal im Kreis und dann an der Seitenwand des Saals und gibt ihnen jeweils zwei Schlegel in die Hand. Die Rhythmen, die er vorgibt, werden jetzt komplexer – und die Gesichter der Schülerinnen und Schüler deutlich angestrengter…

Am Ende dieser Kleingruppenarbeit, in der Eigeninitiative, Kreativität und Mut gefragt sind, kommen noch einmal alle zusammen in den Kreis. Jetzt wird die Lautstärke am DJ-Pult richtig hochgefahren. Ein Bass wummert. Und alle Entscheidungsfragen, die noch beantwortet werden müssen, treten in den Hintergrund. Zum Schluss darf die ganze überschüssige Energie rausgetanzt werden. Und die Freude, die in diesem Moment zu erleben ist, lässt schon erahnen, wie gross der Stolz und die Erleichterung sein werden, wenn im Juli alle Fäden dieses Projekts auf der Studiobühne im Opernhaus Zürich zusammenlaufen.

Dieser Artikel ist erschienen in MAG 123, Mai 2025.
Das MAG können Sie hier abonnieren.