Les Pêcheurs de perles
Oper in drei Akten von Georges Bizet (1838-1875)
Libretto von Michel Carré und Eugène Cormon
In französischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 2 Std. 30 Min. inkl. Pause nach dem 2. Akt nach ca. 1 Std. 30 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Gut zu wissen
Fragebogen
Ekaterina Bakanova
Ekaterina Bakanova singt die Léïla in «Les Pêcheurs de perles». Sie studierte Gesang, Klavier und Akkordeon in Moskau und ist Preisträgerin wichtiger Gesangswettbewerbe. Sie trat u.a. am Royal Opera House London, am Théâtre des Champs-Elysées und in Barcelona auf. In Zürich war sie bereits als Antonia («Les Contes d’Hoffmann») und Nedda («Pagliacci») zu hören.
Aus welcher Welt kommen Sie gerade?
Ich komme gerade aus Italien, von zu Hause, ich lebe in Venetien. Meine letzte Produktion war Barrie Koskys Zauberflöte in Turin. Die Oper hat einen besonderen Platz in meinem Leben. Vor 18 Jahren debütierte ich mit der Königin der Nacht. Das war meine erste Rolle auf der Bühne, der Regisseur war Achim Freyer. Meine Stimme hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt und verändert. Jetzt singe ich Pamina; das ist eine wunderschöne, sehr heikle Rolle, die ich schon mehrmals gesungen habe. Barrie Koskys bekannte Produktion stellte für mich dennoch eine Herausforderung dar, weil es keinen Dialog, kein normales Bühnengeschehen und keine Kommunikation mit Kolleg:innen und Publikum gab. Alles drehte sich um Mimik und Körperbewegungen, und auch das war sehr begrenzt, weil wir in drei Metern Höhe sangen und ständig mit Sicherheitsgurten an der Wand festgeschnallt waren!
Auf was freuen Sie sich in der Pêcheurs-Produktion?
Vor allem freue ich mich sehr darauf, mit dem grossartigen Javier Camarena zusammenarbeiten zu dürfen! Ausserdem freue ich mich, dass ich zum dritten Mal diese beeindruckende Musik singen darf und die Rolle der Léïla dadurch immer weiter verbessern kann, und natürlich freue ich mich auf Zürich!
Woran merkt man, dass Sie Russin sind?
Ich lebe ja schon lang in Italien, aber dass ich dort Ausländerin bin, merkt man relativ schnell, weil ich die Menschen anders betrachte und anders anspreche. Man sieht auch meine roten Haare, meine helle Haut.
Welches Bildungserlebnis hat Sie besonders geprägt?
Die Stanislawsky-Schule – das, was Stanislawsky mit seinem Wissen und seiner Erfahrung in die Welt des Theaters gebracht hat! Das Allerwichtigste ist, zu lernen, die Gefühle über die Musik und die Stimme zum Publikum zu transportieren. Niemand im Saal sollte nach der Veranstaltung gleichgültig bleiben!
Welches Buch würden Sie niemals aus der Hand geben?
Das Versprechen im Morgengrauen von Romain Gary, ein Roman, in dem der Autor sein Leben und seine ungewöhnliche Karriere beschreibt sowie seine verrückte, despotische, aber auch liebevolle Mutter.
Welches künstlerische Projekt bereiten Sie gerade vor?
Interviews und Video-Aufnahmen bei RAI 1 mit dem Moderator Gigi Marzullo über Kunst und Kultur. Anlass für diese Sendung ist das 100-jährige Jubiläum von Maria Callas, das mit Konzerten und Tourneen in Italien und auf der ganzen Welt gefeiert wird. Ich wünsche mir sehr, dass Fernsehauftritte wie diese Sendung in Zukunft zu einem festen Bestandteil meiner Karriere werden.
Was muss passieren, damit die Welt in hundert Jahren noch existiert?
Ich denke, dass die Welt sich immer weiter in Richtung Digitalisierung entwickeln wird. Ich wünsche mir aber sehr, dass wir darüber die Natur nicht vergessen! Für mich gibt es nichts Besseres zum Entspannen, als auf einem Rasenmäher zu sitzen oder im Garten zu arbeiten!
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 103, Juni 2023.
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Die geniale Stelle
Was für ein Moment! Was für eine Erfindung! Zunächst ein eher konventionelles Rezitativ, dann ein Arioso des Tenors mit recht zaghaftem melodischen Schwung, der schon bald wie resigniert zusammensinkt, als sei es nicht möglich, das Ereignis, um das es geht, in Worte zu fassen. Dann ein Augenblick der Stille, der gespannten Erwartung und dann … Ein Harfen-Arpeggio und der Einsatz der Flöte mit dieser wortlosen, für immer unvergesslichen Melodie. Sie schlägt den Hörer sofort in den Bann. Er fühlt unmittelbar: hier trägt sich etwas Grosses, Aussergewöhnliches zu. Die ersten Töne evozieren lange, tiefe Atemzüge: ein, aus, ein, aus. So atmet ein Mensch, der ganz mit sich eins ist, der sich sicher aufgehoben weiss in der Welt und der Gemeinschaft, der er angehört, der hingegeben wahrnimmt, was sich um ihn herum zuträgt. Aus dieser Sicherheit heraus folgt dann ein gelöstes Ausschwingen in einem ebenmässigen Bogen von nahezu überirdischer Schönheit und Freiheit. Es ist eine jener langen, herb-süssen Melodien, die sich auf ganz unwagnerische Weise ins Unendliche fortzuspinnen scheinen, wie sie wohl nur Georges Bizet erfinden konnte. Eine jener Melodien, die man schon beim ersten Hören zu kennen meint, in der man sich zu Hause fühlt, deren weitere Wendungen und Entwicklungen man schon kennt und liebt, ehe man sie gehört hat. Eine Melodie, von der man sich gern hinreissen und forttragen lässt in einen Traum, der für einen Augenblick die Erfüllung aller Wünsche zu bieten scheint, der ausgesprochenen, der geheimen und der noch gar nicht gewussten … Kein schönerer, kein bewegenderer Ausdruck ist denkbar für die aussergewöhnliche Situation, in der zwei Menschen zurückblicken auf den gemeinsam erlebten grössten Moment ihres Lebens. Es war nur ein kurzer Blick auf eine unbekannte Frau von märchenhafter Anmut, aber er hat beide existenziell tief erschüttert und unwiderruflich verändert. Es war einer jener Augenblicke, die Menschen für immer unlösbar miteinander verbinden.
Aber wie ist das möglich? Wie kann eine Melodie entstehen, die dem Hörer sofort bekannt vorkommt? Wie ist es möglich, dass dieses Bruchstück aus einer kaum bekannten Oper die Hörer so unmittelbar ergreift, dass sie gar nicht auf den Gedanken kommen, nach den Worten zu fragen, die da gesungen werden, nach den Figuren, die da singen, nach dem Zusammenhang der Handlung? Wie macht das die Musik? Wie stellt ein Komponist so etwas her? Wir können die geniale Instrumentation, die so einfache wie raffinierte Harmonik, die nahezu vollkommene Wölbung der melodischen Bögen, die ausgeklügelte motivische Arbeit mit höchster Genauigkeit analysieren, aber am Ende haben wir kaum mehr in der Hand, als bei anderen musikalischen Passagen auch. Woher die besondere und aussergewöhnliche Aura, diese zarte Unwiderstehlichkeit dieser Stelle rührt, das sagt uns das Ergebnis der Analyse nicht. Auch der musikwissenschaftliche Spezialist lässt uns ohne Antwort. Er hat Adorno gelesen und gibt sich mit solchen Sachen nicht ab. Naserümpfend geht er davon und presst etwas wie «Schnulze» durch die schmalen Lippen. Nun, sei’s drum. Eine Schnulze also. Das Rätsel hat nun einen neuen Namen, aber seiner Lösung sind wir keinen Schritt näher. Wie die unfehlbare Wirkung dieser zutiefst anrührenden Musik entsteht (es ist uns ja nicht entgangen, dass der naserümpfende Spezialist verschämt eine Träne aus dem Augenwinkel wischte), ist noch ebenso ungewiss. Wir werden es wohl nie erfahren, und wir müssen es ja auch nicht. Nehmen wir die Sache einfach, wie sie ist: Nennen wir es ein Wunder, was hier geschieht, ein unlösbares Rätsel, oder – warum nicht? – eine Schnulze. Eines weiss jeder, der sie gehört hat: Diese Stelle ist wahrhaft genial.
Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 64, November 2018.
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Les Pêcheurs de perles
Synopsis
Les Pêcheurs de perles
Erster Akt
Für die bevorstehenden Tauchgänge in gefährlichem Gewässer machen sich die zur Arbeit angetretenen Perlenfischer mit Gesängen Mut. Zurga fordert sie auf, dem von ihnen gewählten Anführer unbedingte Treue zu schwören. Die Fischer bestätigen Zurga, dass er es ist, dessen Befehlen sich alle zu unterwerfen haben. Von der Ankunft eines Fremden zunächst irritiert, erkennt Zurga in diesem seinen Jugendfreund Nadir. Dieser erklärt, in die Gemeinschaft zurückkehren zu wollen, die er für längere Zeit gemieden hatte, um sein Schicksal in den Wäldern herauszufordern. Nachdem Zurga Nadir offiziell willkommen geheissen hat und die Fischer an ihre Arbeit zurückgekehrt sind, versucht Zurga herauszufinden, ob Nadir als Freund oder Rivale zurückgekehrt ist. Bei einer gemeinsamen Reise nach Candi hatten sich beide in den Anblick einer Priesterin verliebt und sich darüber entzweit. Die Vernunft gebot ihnen im letzten Moment, zugunsten ihrer Freundschaft auf die Liebe zu dieser Frau zu verzichten, und sie schworen einander, diese nie mehr wieder zu sehen. Dennoch hatten sich danach ihre Wege getrennt. Zurga versichert Nadir, dass er sich an den Schwur gehalten und die Erinnerung an diesen Tag ausgelöscht habe. Nadir seinerseits gibt zu, dass er diese Frau zwar nie vergessen werde, sich aber gleichfalls von ihr ferngehalten habe. Mit einem erneuten Schwur auf ihre Freundschaft bis in den Tod besiegeln sie das Wiedersehen. Der Oberpriester Nourabad meldet die Ankunft der von Zurga zum Schutz der Fischer angeforderten Priesterin. Tief verschleiert präsentiert sie sich der erwartungsvollen Menge und wird von Zurga aufgefordert, ein Keuschheitsgelübde abzulegen. Bricht sie es, droht ihr der Tod. Ein mitleidiger Ausruf Nadirs erweckt die Aufmerksamkeit der Priesterin, die für einen Moment aus der Fassung gerät. Doch dann schwört sie, ihr Leben den Perlenfischern zu weihen. Während Nourabad sie auf den ihr zugedachten Platz geleitet, wird Nadir von den Erinnerungen an die von ihm geliebte Priesterin aus Candi aufgewühlt. Für einen Moment glaubte er, sie wieder vor sich zu haben. Anders, als er Zurga versichert hat, ist er ihr damals gefolgt, um heimlich ihrem Gesang zu lauschen. Noch einmal begräbt er seinen Traum von einer Liebe, die unmöglich ist. Die Perlentaucher unter den Fischern machen sich bereit; der Gesang der Priesterin erfüllt die Luft. Jetzt ist sich Nadir sicher, die Stimme der geliebten Frau – Léïla – wieder zu hören. In einem unbewachten Augenblick nähert er sich ihr, und verspricht sie zu beschützen. Léïla, die in Nadir zuvor schon den Mann erkannt hat, der in Candi ihr Herz erobert hatte, überlässt sich glücklich ihrem Gesang, der nun Nadir gilt.
Zweiter Akt
Nach getaner Arbeit soll auch Léïla sich ausruhen. Nourabad ermahnt sie, immer ihres Schwures eingedenk zu sein, keinen Mann in ihre Nähe zu lassen. Sie erzählt ihm, dass ihr schon als Kind die Bedeutung eines Eides bewusst gewesen sei. Eines Abends sei ein Flüchtling in ihre Hütte gekommen und habe sie angefleht, ihn zu verstecken, da er verfolgt werde. Sie habe ihm geholfen und sein Versteck verschwiegen, obwohl seine Verfolger sie mit dem Messer bedroht hätten. So habe sie ihm das Leben retten können. Als Dank überliess er ihr damals eine Kette mit der Bitte, sie als Erinnerung an ihn in Ehren zu halten. Als Nourabad sich zurückgezogen hat, schläft Léïla in Gedanken an Nadir, den sie in der Nähe weiss, beruhigt ein. Nadir nutzt die Gunst der Nacht und schleicht sich zu Léïla. Erschrocken und um sein Leben fürchtend, fleht sie ihn an zu gehen. Nadir glaubt sich zurückgewiesen und klagt sie an, sein Herz nicht verstanden zu haben. Léïla aber erwidert ihm, dass sie ihn wohl bemerkt habe, damals, als er heimlich ihrem Gesang gelauscht habe. Ihr Herz sei bereit gewesen, ihm zu folgen. Überglücklich schliesst Nadir sie in die Arme. Endlich können sie sich ihre Liebe eingestehen. Doch Nourabad kehrt unbemerkt zurück und überführt sie des Eidbruches. Die herbeigerufenen Fischer fordern für beide die Todesstrafe. Da tritt Zurga zwischen sie und befiehlt kraft seines Amtes, Nadir mit der unbekannten Priesterin zu verschonen und ziehen zu lassen. Als Léïla von Nourabad gezwungen wird, ihn anzusehen, erkennt auch Zurga in ihr die einst geliebte Priesterin von Candi. Er glaubt sich von Nadir betrogen und fordert nun seinerseits Rache. Bei Anbruch des Tages sollen Léïla und Nadir mit dem Tod bestraft werden.
Dritter Akt
Zurga bereut, dass er sich aus Zorn zum Todesurteil für den Freund hat hinreissen lassen. Da wird Léïla zu ihm gebracht. Sie bittet ihn, Nadir das Leben zu schenken und nur sie zu töten. Zurgas Eifersucht erwacht von neuem, als er erkennt, wie sehr Léïla Nadir liebt und unterschreibt das Todesurteil für beide. Gefasst wendet Léïla sich zum Gehen, doch vorher überreicht sie Zurga jene Kette, von der sie Nourabad erzählt hatte. Zurga erkennt betroffen, dass er in Léïla seine Lebensretterin von einst vor sich hat. Die Perlenfischer erwarten ungeduldig den Zeitpunkt, sich für den Verrat der Priesterin rächen zu können. Ungezügelt lassen sie ihren Aggressionen freien Lauf. Nadir und Léïla erwarten ihren Tod. Bevor das Urteil vollstreckt werden kann, gebietet Zurga Einhalt. Er erklärt sich zum Schuldigen an allem Vorgefallenen und bezichtigt sich, als Mensch gescheitert zu sein. Die Verwirrung der Menge nutzend, verhilft er Léïla und Nadir zur Flucht. Die Wut der Perlenfischer richtet sich nun gegen ihn.